Wolfgang Buchhorn            Oeynhausener Str. 5              32602 Vlotho                                 
 
                               Einladung zur Meditation

 
Zum 527. und letzten Meditationsseminar dieses Jahres bist Du herzlich eingeladen. Es findet vom 5. bis 7.Dezember 2025 in Bielefeld statt, Tagungshaus ist wieder Einschlingen, Schlingenstr.65. Thema ist -wie es sich am Ende eines Jahres geziemt
                                   Ein unvollendetes Jahr
Welch ein Jahr und welche Zumutungen mussten wir ertragen, aushalten und uns irgendwie arrangieren, um nicht irre zu werden?
Trump, Bundestagswahlen mit neuer Regierung, Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen im Israel-Gaza-Krieg, Sprachverwirrungen, stärkster CO2-Anstieg seit ever, Spiele mit Zöllen, .. die Liste könnte länger werden, will ich aber nicht.

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Es geht hier nicht um ein Geschichtsseminar, wohl aber um unser „in der Welt sein“, aus der wir nicht aussteigen können. Damit ist der Sinn von Mensch und Leben angesprochen, Es gibt viele Arten von Sinn: Sinn durch Hoffnung auf besser Zeiten; Sinn durch Antwort, der im Dialog entsteht; Sinn durch Verbundenheit und Einheit, d.h. der Welt nicht mehr gegenüber zu stehen, sondern Teil von ihr zu sein. Der Austritt aus der Welt mag im Rausch geschehen, etwa im Tanz, Sport, im Sex; im Urlaub, doch wir müssen wieder zurück in die „normale“ Welt mit allen Krisen, Konflikten, Ver-sprechungen, den Zumutungen auch im Beruf. Unsere verständliche Sehnsucht nach Vollkommenheit oder „heiler Welt“ endet in der Sackgasse der Selbst-optimierung, gar des Selbstbetruges.
 
Der Sinn in der Meditation liegt woanders. Startpunkt ist stets das Hier und Jetzt, kein wünschenswertes Wolkenkuckucksheim, Der Weg geht über „Sitzen“ und das „Stillwerden“ in sanften Spiralen üben, die „Bewegung“ ( d.h .unsere Leibhaftigkeit beim Tanz spüren); „Reflektieren“ im Sprechen sich öffnen, hören, zuhören, Vertrauen wachsen lassen. Menschen können uns nur zuhören, wenn wir uns selbst auch äußern, auch Mehrdeutigkeiten im eigenen Leben zulassen und das der Welt zu ertragen und es üben.
Meditation möchte Beziehungen erfahrbar machen, die uns unsere Bedeutung für andere erleben lässt; und: es gibt auch Beziehungen zu Nicht-menschlichien ... Dazu öffnen die Berichtsrunden einen offenen Raum und auch ein Spaziergang.
 
Aus dieser Haltung heraus können die fast unerträg-lichen Zumutungen dieses Jahres für uns wenigstens etwas erträglicher werden; sie abzuschaffen übersteigt unser Vermögen.
 
Was war mir 2025 wirklich wichtig? Welche Schritte konnte ich gehen? Wohin möchte ich weitergehen? ... könnten Einstiegsfragen sein. Kann ich Stille erleben und aushalten?

Wenn Du teilnehmen möchtest, überweise Deinen Seminarbeitrag in von € 200 (Normalpreis) möglichst bald auf das Konto der STÄTTE DER BEGEGNUNG bei der Sparkasse Herford überweisen ( IBAN DE 77 4945 0120 0250  0017 73  IBIC WLAHDE 44 ). Stichwort ist: Seminar 5.- 7.. Dezember 2025.
 ( bis € 160,- als ermäßigter Beitrag für Schüler und Studenten je nach Absprache; Einzelzimmer -falls verfügbar-  in bar 40 € in bar)

Du kannst Dich verbindlich per e-mail anmelden, auch per Telefon (auch sms, whatsapp), einige haben das bereits getan.
Bringe bitte leichte Kleidung zum Bewegen (ggfls. auch für Yoga) mit, sowie Bettwäsche (sonst Ausleihgebühr), Tagebuch, Neugier und Offenheit.
Das Seminar beginnt am Freitag, 5.12.2025 mit dem Abendessen um 18.3o Uhr und wird am Sonntag gegen 14.3o nach der Abschlussrunde enden.
 
Ich freue mich auf Dich / euch und einen gemeinsamen Weg zu gehen, der uns dahin führt, wohin wir vlt. schon lange wollten. Vielleicht muss das auch dann noch offenbleiben ... denn das ist Leben.
 
Dein
Wolfgang

 
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Die neuen Termine für 2026: alle finden in Bielefeld- Einschlingen statt
 13. - 15.Februar 2026
17. - 19. April 2026
2. - 4.Oktober 2026
4. - 6.Dezember 2026

 
 
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Wolfgang Buchhorn                            Oeynhausener Str.5                               32602 Vlotho
 
Jahresbrief 2025/2026:
Ein Vermächtnis
 
 
And I think to myself
What a wonderful world
Louis Armstrong
 
Welch ein Jahr 2025 ...
Im Film „Das Konklave“ diskutierten zwei Kardinäle über die Behauptung des einen, „Gewissheit sei Grundlage des Glaubens“, der andere meinte „Gewissheit sei das Gegenteil von Toleranz“. Was gilt? Was ist, wenn jemand lügt? Oder er sich nur irrt?
Ungewollt wurde „Gewissheit“ zu einer Frage meiner Frankreichfahrten 2025 und schon tauchte Kant in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“ mit einem Trommelwirbel auf: „Die menschliche Vernunft belästigt uns mit Fragen, die wir nicht abweisen können, für die es keine Antworten gibt. Denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.“

Wenn es eine Grenze der Vernunft gibt, wo ist sie? Traue ich mich sie zu ergründen? Ohne irre zu werden? Wessen kann ich mir gewiss sein? Wer und wie bin ich?
Vielleicht war ich durch Sartres Begriff vom „Selbstbetrug“ offen für eine Bemerkung von Franz Kafka 1914: „„Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht“, Hannah Arendt ergänzte 1972: „Lügen scheint zum Handwerkszeig nicht nur des Demagogen, sondern auch des Politikers zu gehören. Ein bemerkenswerter und beunruhigender Tatbestand.“

Ein für die Welt gefährliches Beispiel dazu: der Trumpsche Mix aus Lügen, Naivität, Sprachverwirrung und „Religion“ ist ungeschminkt seit Januar dabei die USA in einen autoritären Staat zu verwandeln, Die unheilvolle Allianz von T. und der Milliardäre der Tech-Industrie, Musk, Thiel etc. ist dabei, die Institutionen der Gewaltenteilung, die Menschen- und Völkerrechte und die regelbasierte internationale Ordnung ein für allemal zu zerstören. Erpressungen sind bereits an der Tagesordnung. Er kommt einem fanatischen Glaubens-krieg nahe und mir scheint inzwischen, dass sie vor einem Bürgerkrieg nicht mehr zurück-schrecken. Albtraum? Es macht mich auch fassungslos, wenn  junger Menschen bei uns rechte nicht von linken Inhalten unterscheiden können. Politische Analphabeten.

Es ist leider kein Albtraum, sondern Wirklichkeit in Form eines neuen Faschismus, der  Frei-heit, Gleichheit, Recht, Solidarität für alle Menschen ablehnt; dafür menschenverachtende Gewalt heroisiert, oft mit quasi-religiöser Verklärung des technischen Fortschritts, inkl. des Sozialdarwinismus. Ihm gilt das als Ausdruck von Macht. Es waren die kleinen Schritte, die zur Unterminierung der Demokratie führten. Doch wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen. Klimarettung geschieht nicht mit der Erlaubnis, noch mehr CO2 in die Luft zu pusten; doch genau das Ausbremsen von Klimaschutzmaßnahmen praktiziert Merz u.a. mit seiner Wirtschaftsministerin. Ist Wirklichkeits-verleugnung glaubhafte Klimapolitik oder doch eine Lüge mit atemberaubenden hohen Kosten für die Zukunft. „Die Wahrheit der Absicht ist das Tun“, forderte schon Hegel. So habe ich Zweifel. 
Gibt es Hoffnung? Nur die, die wir selber schaffen. Wer sonst? Dazu gehört auch, die Unwahrheit als Lüge zu benennen.  Die Lobby der Gegenpropaganda in Sachen Klimaschutz zahlt viele Milliarden Euro für ihre Lügen wie es schon einmal in der Geschichte in den 60iger Jahren die Ölfirmen.       

Das macht mich nicht froh, doch es gibt andere, auch reale Wirklichkeiten. Sie empfingen mich erneut in Frankreich. Die Krankheit unserer Zeit: wir bleiben zu oft an der Oberfläche. Doch unter der Oberfläche könnte das Eigentliche geschehen. Frankreich half mir es zu endecken.

Reisen sind immer Reisen nach außen und nach innen, sie sind nie getrennt. Beides will reflektieret sein, also „in den Blick“ kommen. Allein das ego-freie Schauen erlöst mich aus dem sinnentleerten Konsum. Dann erkenne ich Schönheit. Auf Reisen geht für mich um Selbst- und Welterkenntnis: Wer bin ich? Wofür lebe ich? Wofür bin ich auf der Welt.?
Meine Art des Flanierens in Frankreich öffnete mir die Möglichkeit von neuen Erfahrungen solange ich offen bin. Aix-en-Provence und Cahors spielten in diesem Jahr eine besonders Rolle. Der geübte kontemplative Blick machte Menschen, Pflanzen und Dinge nicht zum Objekt, sie waren für mich eine poetische Haltestelle des Lebens. Verweilen gehört dazu und das ist etwas anderes als Warten an einer Haltestelle. Das Unerwartete, das Fremde als eine Ressource zu nutzen wird möglich, führt zur Selbsterkenntnis, zur Selbstaufklärung.

Ich geriet in Arles in eine Gruppe von US-Touristen, die andächtig die Terrasse des Restaurant „van Gogh“ bewunderten. Eine Wand war plump-kitschig mit Bildern des Malers gestrichen. Das störte die Andacht nicht. Zu van Gogh´s Zeit gab es dies Restaurant nicht, er hatte dort weder Absinth getrunken noch gemalt. Die Touristen glaubten es aber und wenn viele dies glauben, wird der Ort zu einem Kultort und entfaltet eine Wirkung für den Betrachter; das gilt auch für fake-news; sie werden zu Scheingewissheiten bis hin zur Lüge, wenn der geistige Boden bereitet ist. Eine alte Einsicht tauchte auf: nicht der Ort ist heilig, sondern die Pilger heiligen ihn; nicht der Ort eines Zen-Sesshins macht ihn wirkkräftig, sondern die darin meditierenden Menschen. Das hielt mich von einer Kritik an den US-Amerikanern ab; jeder wählt seinen eigenen Selbstbetrug oder seine Wahrheit, ich auch.

Beim Blick auf die mehr individuellen Krisen: Mobbing, Amokläufer, Messerattentate, Femizide, sexueller Missbrauch, verlorenes Unrechtsbewusstsein, unentwickelte Empathie (die uns in eine Barbarei zurückwirft), oberflächliche Antworten nach Sinn, verweigerte Inte-grationshilfen, zunehmende Suizide von Jugendlichen, ... so beginne ich an dem geistigen Potential der Menschheit zu zweifeln. Kann das sozial verletzte, traumatisierte Selbst eines Jugendlichen mit Angst eine Zukunft haben? Kann es für seine Träume leben?

Gibt es einen tiefer liegenden, vlt. gemeinsamen Grund? Wenn Lügen „normal“ werden, hat das vlt. seinen Grund in einem verfehlten Weltbild? Wann wird eine Deutung zur Lüge? Im Buddhismus gilt als Wurzel des „Bösen“ 1. wenn komplexe Vorgänge zur Unkenntlichkeit reduziert werden; 2. bei unge-eigneten Einsichen in das systemische Ganze der Welt ( es also Lügen sind). Ist, wer lügt "böse"?

Lügen stellen sich als die Verursacher der Krisen heraus. Grundsätzlich sind die Lügen Halbwahrheiten, dienen der Delegitimation von Amt und Institutionen, sie verdrehen die Geschichte ins Gegenteil, etc. Sie untergraben damit nicht nur die Grundfesten der Demokratie, zerstören die Errungenschaften der Aufklärung, sondern die Bedingungen  eines mündigen, ehrlichen Lebens. Die Folgen sind bereists zu ahnen und zu spürbar. Ich möchte nicht in einer Gemeinschaft leben, in der ich belogen werde. Wer jetzt nur an Trump denkt, liegt falsch. Wir alle sind gemeint. Ich bin Teil dieser Menschheit, die das alles duldet, deren Gewissheiten auf Glaubenssätzen beruhen.

Gewissheitsansprüche sind für alle Beteiligten gefährlich; je mehr Macht, desto gefährlicher, „Gewissheit“ wirkt auf mein Welt- und Menschenbild, auf meine Sprache, mein Denken. So muss ich angreifbar bleiben, weil ich erst dadurch lernen kann. Was für ein Monster wäre ich, wenn ich das ablehnen würde? Es ist Teil meiner Würde. Das Sprachmodell der KI, der ChatGPT, u.ä. kennt selbst keine Würde; es beeinflusst allein durch meine Nutzung mein Weltbild, inkl. der Ethik u Moral; es gründet auf dem Menschenbild der Tech-Milliardäre, das nicht meines ist. Was, wenn die KI selbst die KI trainiert? Inzucht? Ist das der Todeskampf der Aufklärung?

Füge ich mich dem? Wer oder was bin ich und was ist mir wirklich-wertvoll und wichtig? Beide Fragen gehören zusammen. Kann ich das Feld des nur funktionalen Wissens erweitern hin zum Verständnis des Lebendigen als Ganzes? Kann ich mich von der instrumentellen Vernunft lösen, die nach Auschwitz und zum Klimakollaps führte?

Dies und die Frage Adornos „kann es ein richtiges Leben im falschen geben?“ schwebte als beunruhigende Frage über meiner Frankreichfahrt. Bedeutet ein „richtiges“ Leben ein ge-lingendes? Was macht mich als Mensch aus, erst recht, angesichts der KI und die in Ver-bindung zum neuen Faschismus (nebenbei: die CIA (Central Intelligence Agency) ist kein Intelligenzbüro, sondern sammelt und deutet nur Informationen.) Die Reduzierung von Intelligenz auf bloße Informationsverarbeitung -wie bei der KI- ist so armselig wie die Reduktion einer Sinfonie von Beethoven auf eine Frequenzabfolge. Ich möchte der Aufklärung, der nie erreichbaren Wahrheit verpflichtet bleiben. Finde ich im Denken Gewissheit?  Zumindest in Aix wurde ich 2025 in meiner Selbstgewissheit erst einmal mächtig geschüttelt, in Cahors aufgefangen und geweitet später in Paris.

Vielleicht hilft dazu mein erlebtes Gleichnis wie trügerisch geglaubte Gewissheiten auch im Alltag sein können. Die tiefere Bedeutung dieses Erlebens öffnete sich mir erst langsam und ich war später erstaunt über den weiten Sinnhorizont dieser eigentlich nebensächlichen Verirrung. Mir widerfuhr es in Aix-en-Provence. Ich hielt mich für einige Tage dort auf und erlebte meine Verstrickung in Glaubenssätze und vermeintliche Besserwisserei. Ich wollte in der herrschenden Hitze in einem kleinen, mir von früher bekannten Park verweilen, der am Ende eines langgezogenen Hügels lag, der sich von der Universität fast bis zum Campingplatz hinzog. Ich war schon lange bei 35 Grad gelaufen, als ich auf dem Weg zum Park auf einer breiten Straße landete mit Busverkehr: großen Wohnhäusern, die es doch früher alle dort noch nicht gegeben hatte! Ja, auch dies Stadtbild ändert sich, dachte ich..

 Die Antwort eines älteren Ehepaares auf meine Frage, wo ich denn sei und wie ich zu meinem Ziel kommen könnte, verwirrte mich: ich solle die Straße zurückgehen und mich dann links halten. Genau diese bergan führende Straße hatte mich gerade nicht zum Park geführt, mich ins Schwitzen gebracht; außerdem läge mein Ziel nicht weit links, sondern weit rechts. Das behielt ich aus Höflichkeit für mich, denn ich wähnte mich ja im Recht, da war ich mir sehr gewiss.
Das Erschrecken kam wenige Momente später als ich mich umdrehte ... Wahrhaftig,  ich kannte diese Straße, war sie oft gegangen. Aber wie konnte ich auf dieser Straße sein? Meine Verwirrung stieg. Ganz offensichtlich befand ich mich gar nicht auf der Seite des lang-gezogenen Hügels, was ich felsenfest geglaubt hatte, sondern auf der gegenüberliegenden Seite ohne es gemerkt zu haben. Wie konnte das geschehen? Wie konnte ich das mit Gewissheit denken? Bin ich denn bescheuert? Doch schon alt und senil geworden?

Mir wurde peinlich klar, was ich selbstverständlich wie jeder schon lange im Kopf weiß, nun aber erfuhr ich es körperlich. Ich darf den Ausgangspunkt auch meines Denkens nicht für gesichert halten, nie; ich muss mich immer wieder neu fragen, ob der noch gilt; dass ich in allem irren kann. Ich war mir für Momente selbst fremd geworden. Genau das aber wurde zu einer Chance zur Selbstaufklärung. Sogar die Nachhaltigste. „Ja, ich hatte mich geirrt.°

Eigentlich alles Trivialitäten, doch dabei wollte ich es nicht bewenden lassen. Ich wollte gründlicher denken. Ich kannte rational die Macht der Glaubenssätze, der scheinbaren Gewissheiten. Wenn der Startpunkt des Denkens falsch ist, sind die Folgerungen auch falsch. Auch der Weg vom richtigen Startpunkt zum Ziel kann in einem Kreisverkehr enden. Das Ziel wird verfehlt, solange ich guten Glaubens m Kreis gehe oder an Dogmen festhalten. Das alles „wissen wir im Kopf“. Das gilt nicht nur für harmlose Spaziergänge. Verirrung auf dem Weg ist auch politisch zu verstehen. So eine Verirrung könnte selbstaufklärend wirken -privat wie politisch- wenn nicht der Mut dazu fehlen würde.

Thich Nhat Hanh nannte den Boden der Glaubenssätze, (inkl. unserer verborgenen, kaum zu veränderbaren Mentalitätsstruktur) „unser Speicherbewusstsein“.  Alles, was wir je erlebt haben ist dort als Same gespeichert. Nicht alle Samen sollten Wurzeln schlagen. Nur die heilsamen Samen hilfreichen Denkens wie Empathie, Liebe sollten getränkt werden. Dazu gehört Denken, Sprache, Vernunft, Wahrhaftigkeit. Dann bleibt dieser Boden fruchtbar.

Mir scheint, mancher Nährboden ist weltweit vergiftet: durch religiösen und politischen Fanatismus; Rassismus, Nationalismus mit seiner Fremdenfeindlichkeit und andere Ideologien;  der Same Mitgefühl, Offenheit, Empathie, Vertrauen, .. wurde zu wenig begossen; die negativen oft und nachhaltig. Für mich sind Lügen ein Zeichen ungesunden Bodens, Die für Lügen bereiten Menschen docken an dem vergifteten Boden gerne an, glauben sich „wissend“ wie die Mitläufer von Verschwörungserzählungen. Nein, ich möchte nicht belogen werden. Auch wenn Rationalität sicher nicht alles ist, ohne sie ist alles nichts.

Der Lügner, so las ich, verfolgt eine Absicht, nämlich das Falsche als Wahrheit zu verkünden, um Macht, Geld zu gewinnen oder sein Selbstbild zu bewahren. Mit diesem Verständnis prallen alle Fakten an dem Lügner ab. Würde er/sie die Fakten nicht kennen, wäre es keine Lüge. Kant würde darin das falsche Leben der Unmündigkeit erkennen; es vlt. das Böse nenen.. Wer sich im falschen Leben wohlfühlt, wird kaum nach einem richtigen suchen, es nicht einmal vermissen. Soetwas macht mich traurig.

Das Denken am Startpunkt fragt zuvor: sind meine Informationen glaubhaft? Wer profitiert finanziell oder machtmäßig, liegen Eigeninteressen zugrunde? Sind es begründete Aus-sagen? Skeptisch zu sein lehrte uns die Coronazeit und forderte auf begründbaren Er-lärungen zu bestehen. Die Unkenntnis der Art wissenschaftlicher Arbeit führte zur Missachtung von Wissenschaft, bestärkt in den sog. sozialen Medien, in denen alle Dummheiten ungeprüft mit Lichtgeschwindigkeit verbreitet werden. In Zeiten der Lüge fällt nicht auf, dass die AfD ein offen rassistisch-chauvinistisches Programm vertritt; gegen Freiheit, gegen Menschenwürde und allg. Menschenrechte. Ist es Blindheit, Dummheit, Ignoranz, um das zu begreifen? Verstehe ich den Buddhismus richtig, ist es Ausdruck des Bösen.

Unser herrschendes Welt- und Menschenbild trennt Geist und Natur, trennt Subjekt und Objekt. Die Ideologien des Faschismus, Rassismus, .. sind weitere Folgen des Trennungs-denken wie auch die Leugnung des Kontextes. Die Trennung ist falsch; das wissen wir rational; die Welt funktioniert anders als wir denken. Doch auch: die Trennung ist nötig für das Handeln im Alltag. Anders ausgedrückt: wie in den bekannten Kippbilden sind beide Bilder stets gleichzeitig anwesend, obwohl wir immer nur eines sehen können. Ein men-schenverachtendes Bild der Wirklichkeiten -egal von wem- kann und darf keinen Gültigkeits-anspruch erheben. Die Würde eines jeden würde verschwinden, Vertrauen wäre nicht möglich. Was wäre das für eine Welt und ein Leben?

Die Frage nach der Wirklichkeit beantwortete Meister Eckardt (um 1300): sie ist das, was wirkt, also auch meine Vorstellung von mir, von der Welt, inkl. Natur und meine Beziehung zu ihr.  Zu den gefährlichen Ausgangspunkten unseres Denkens gehören auch Interessen, Ängste Erwartungen, sie alle wirken meist unbewusst wie unser Selbstbild und die Glaubenssätze. Machen wir uns nichts vor: wir nehmen nicht die Wirklichkeit wahr, wie sie ist, sondern immer nur aufgrund unseres Ausgangspunktes des Denkens. Daran erinnerte mich das Aix-Erleben des Verirrens. Wenn der Startpunkt falsch oder unzureichend ist -etwa durch Vorurteile- ist es der Weg auch wenn der Weg unrichtig ist, kann das Ziel nicht erreicht werden.

Das, was wir für „die“ Wirklichkeit halten, ist nicht falsch, doch nur eine von vielen wirkenden Wirklichkeiten. Jeder der Ausgangspunkte schafft eine besondere „Wirklichkeit“, vlt gar eine ungewohnte, die erschüttert. Das gilt auch für das eigene Selbstbild: wieviel Ignoranz steckt darin, vlt aus Angst angreifbar zu sein? Die „offene Wirklichkeit bedeutet Lebendigkeit“ war eine der Einsichten in Cahors und bedeutet Heiligkeit. „Alles Offene ist heilig“ hatte ich im Maharshi-Ashram vor vielen Jahren erlebt, jetzt begriff ich ihn noch einmal anders.

So wage ich mich an ein zweites Gleichnis für den weiteren Teil meiner Frankreichfahrt 2025. Für mich wurde sie zu einer Facette von Gewissheit und damit Maßstab für Sinn. Für mich !
Auf dem allmorgendlichen vielleicht drei Kilometer langen Weg vom Campingplatz zum Frühstück in der Stadt Cahors -natürlich unter einem tiefblaue Sommerhimmel- betrachtete ich nicht nur die sanft fließende Lot, sondern auch die Bäume, Hecken mit ihren im frühen Morgenlicht glitzernden Blättern, auf denen noch Tautropfen funkelten. Die Erde erschien wunderschön, und je mehr ich ihrer gewahr wurde, desto schöner erschien sie mir. Die Farben der Blätter verschiedenen Blumen als ein Spiel aus Grün-, Gelb- und Rottönen, das Blau, dazu gehören die Insekten, die Vögel, das Gras, die Felsen auf der anderen Seite des Flusses. Die eher grau-gelb als grün erscheinenden Wiesen dürsteten nach Wasser. Die Sportstätten auf halbem Weg zur Stadt auf der langgestreckten Insel  -ein Schwimmbad, Plätze für Volley- und Handball, der Rasen eines kleinen Fußballstadions leuchtete sattgrün (künstlicher Rasen?)-  waren noch unbenutzt. Schon bald würden die Stimmen der Schüler und Schülerinnen die Stille erfüllen wie am Vortag. Der ferne Rasenmäher vertiefte die Stille ebenso wie etwas später das klare, alles übertönende, vielstimmige Konzert der mir unbekannten Vögel. Hatten die nicht schon lange zuvor gesungen? Der Gesang tat gut und weitete meine Wahrnehmung noch einmal. Ich lauschte eine Zeitlang mit geschlossenen Augen und bemerkte einen Schmerz in mir, der vlt. aus dem unüberhörbaren Schneiden einer Hecke oder Wiese in der Nähe herrührte.
Aus irgendeinem Impuls war ich stehengeblieben, mit mir die Zeit, der Blick hatte sich geweitet, vlt hatte sich auch der Teil der Stadt ins Schauen eingefügt, der sich auf der anderen Seite hoch über den Fluss erhob.
Aus dieser Weite durchdrang mich die Gewissheit „dazu zugehören, aufgehoben zu sein, Teil zu sein von dem, was mich umgab und mich schon immer umgeben hat, ich es aber nicht bemerkt hatte“. Kippbilder. Die Blätter der Büsche, die Blüten, die Bäume waren ungetrennt von mir, waren ein spürbarer Segen und gleichzeitig blieb ich der, der ich wa: tat tvam asi, heißt es in Indien, auch das bist Du.
Im Schauen erlebte ich, wie vielfältig das Leben in und um diese Hecke pulsiert, wie viele kleine Tiere wie Ameisen herauf- und herunterkrabbelten, andere Insekten wie Bienen, Wespen kurz landeten und wieder wegflogen, Spinnen blieben. Ich entdeckte ein inzwischen unbewohntes kleines Nest und staunte wie leicht ein kleiner Vogel durch die in meiner Wahrnehmung dichten Hecke fliegen konnte ohne etwas zu berühren.
Dieser kleine Ausschnitt einer größeren Lebenswelt zeigte mir nur das Sichtbare; die Hecke wie die Gräser, Blumen und Bäume nebenan hatten Wurzeln, die die von Mikroorganismen aufbereiteten Nährstoffe aufnahmen. Regen war nötig.  Zwischen dem jetzt schon sehr warme Morgenwind, der mich berührte, wehte der Duft von frisch gemähtem Rasen herüber, den ich im tiefen Einatmen genoss. „Ich“ hatte „meine“ Aufmerksam den Ereignissen geschenkt (!),  erwartungslos; beschenkt wurde „ich“ mit der Gewissheit „dazu gehören zu dürfen“.

Ich spürte fast körperlich das filigrane Netzwerk des Lebendigen. Mich berührte die kom-plexe Lebenswelt rings um mich und ich begriff: Lebendigkeit drückt sich in Beziehungen aus. Sie stellen einen Raum da, der ich bin. Da gab es keinen Gedanken an „beherrschen wollen“, wohl bekam der Begriff „Raum“ eine neue, umfassendere Bedeutung.
Für mich wirkte in diesem Moment das Gefühl einer zärtliche Gewissheit: „ich bin umhüllt von Lebendigkeit, die inmitten von Leben leben und lieben will. Sie ist so zerbrechlich wie ich selbst“. Ich spürte zwischen den Pflanzen und mir etwas Drittes vlt. als Kraft, die über beides hinausging, die auch mich nährt? Weist dies als grundsätzliche Verletzlichkeit des Lebens auf das Lieben hin, auf etwas, dass das Leben liebenswert macht?
In einem Anflug von Einsicht ahnte ich die Sinn-haftigkeit des Lebens wie es das Antlitz des Menschen von mir fordert „ich kann dich nicht töten“, so der franz. Philosoph Levinas. Im Beziehungs-Zwischen entsteht Philia, die freund-schaftliche Liebe  In der so gelebten Gegenseitigkeit gründet die eigene Bedeutsamkeit und damit ein Sinn des Lebens.
So erlebte ich mich im Verweilen an der Hecke als wenn ich in der Koevolution Teil eines großen Raums ohne Grenzen bin, der bis zum Beginn allen Lebens reicht, zurück bis zu den Milliarden Billionen Microorganismen vor 3,8 Milliarden Jahren als die damit begannen, die Erde umzuwandeln zu einem blauen Planeten. Sie waren bereits Leben, das eine Form der Beziehungsstruktur bildete (zur Leere?). Ich sah mich mit allem verbunden, denn ebenso viele Mikroorganismen, Viren, Bakterien, etc. sorgen auch in meinem Körper dafür, dass ich leben kann. Ungewollt war ich im Verweilen offensichtlich in einen anderen Bewusstseins-raum des Lebens gerutscht, War es eine Grenzüberschreitung der gewohnten Vernunft? Für einen Moment war ich der Falle des Analysierens entkommen.

Die Begegnung mit dieser Welt der Lebendigkeit offenbarte Schönheit; es befreite mich von einengenden Bedrückungen, nicht deren Auflösung. Schönheit hat offensichtlich eine Qualität von Lieben und Erschütterung – wie alles Heilige. Es war diese Kraft des Lebendigen, die mich erschütterte; nicht der sonst übliche abwehrende Selbstbezug. Es war der Bezug auf die Fülle aus dieser Kraft. „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist“, schrieb Wittgenstein.
Meine Lektüre wies mich darauf hin, dass in einem Esslöffel gesunden Bodens mehr Mikroorganismen leben als es Menschen auf der Erde gibt, dazu kommen größere Lebe-wesen wie Regenwürmer, Plattwürmer, Plankton, etc. Sie schufen die notwendigen Beding-ungen von Leben und halten diesen Boden fruchtbar. Die „Zubereitung“ des Bodens dauerte einige zehntausend, vlt auch Millionen Jahre. Würdigen wir diesen Prozess ausreichend?

Philosophisch war ich ungewollt in der Phänomenologie des Lebens gelandet. „zurück zu den Sachen des Alltags.“ Die Bedingungen lassen die „Sachen“ entstehen. Die Bedingungen für das Abi sind in Prüfungen festgehalten; verlieren sie nach dem Abi an Bedeutung, hat das keine Folgen. Das gilt für eine Ehe wie für eine Freundschaft, Tiefer und umfassender verankert sind die Bedingungen der Möglichkeit von Leben. Diese Bedingungen selbst gehören zum Leben, denn es existiert kein Leben, wenn die Bedingungen dazu nicht (mehr) vorhanden sind. Fallen sie weg, fällt auch mein Leben als dieser Mensch auf dieser Erde weg. Die sprachliche Giftampullen „Lüge“ und „Ignoranz“verändert die Bedingungen. Kafka hat Recht.

Beseelt und gleichzeitig ernüchtert, ging mir beim Weitergehen auf, das Non-Dualität keine Einheit oder gar ein Einheitsbrei ist, sondern sich im Respektieren von Einheit in Vielfalt ausdrückt und zur Verantwortung ruft. Die Vielfalt der Natur erschließt sich nur in der Bereitschaft, sie sehen zu wollen. Daraus folgt, den Alltag in seiner unbequemen Vielfalt einzubeziehen. Zen bringt es auf den Punkt: „Rückkehr auf den Markt mit leeren Händen“.                                       
Sicher war es ein Zufall, dass am Vorabend meiner Abreise aus Cahors das „Gloria – in excellsis deo“ von Vivaldi in einer der alten Kirchen aufgeführt wurde, Der gr.Chor erfüllte den Kirchenraum mit einer Energie und Kraft, die mich innerlich fast zerriss. Ich hätte meine Stimmung nicht besser ausdrücken können. Hier vereinigte sich Sakrales mit dem Profanen.

Es ging weiter im Jahr und da noch einmal  nach Paris, natürlich nichts ahnend, was mir dort widerfahren würde. Es sollte ein Abschiedsreise sein, ein Blick in die renovierte Kathedrale Notre Dame eingeschlossen. Ich war einer der fast fünfhundert Besucher, doch sie störten nicht meine Wahrnehmung der Weite des Raumes, weit und weiß und weit. Ich fühlte mich aufgehoben, zugehörig, umfangen und frei. Das kirchliche Drumherum war für mich bedeutungslos. allein die Weite zählte, das Licht des Raumes. Raum war es, nicht das Licht der Sonne, der wirkte. Den Raum teile ich mit allem Lebendigen unabhängig vom Ort, begriff ich endlich.  Das zeigte sich schon wenig später.

Beim Mittagessen am anderen Ort  -wohl aber im selben Raum (!) -  wurde ich ungewollt Zeuge eines Erlebens, das ich erst später begriff. Ein ca.10, 11jähriger Junge zeigte sein bedingungsloses Vertrauen in dem durch nichts zu irritierenden Schauen zu seiner Mutter. Seine Mimik, Gestik, seine Achtsamkeit, seine Lebendigkeit und seine Freude zeigte sich am vorsichtigen Berühren seines wenige Wochen alten Bruders auf dem Arm seiner Mutter. Sein  freundlich zugewandter Blick war der, den Simon Weil als rettenden Blick bezeichnete. Er erinnerte mich noch einmal an Levinas: „das Antlitz des Anderen signalisiert mir: er geht mich etwas an, dem ich mich nicht entziehen kann“.               
Das Antlitz des Jungen nahm mich gefangen -obwohl ich gar nicht gemeint war und von ihm durch eine Fensterscheibe getrennt war. Mir wurde seine Verletzlichkeit bewusst, die auch meine Verletzlichkeit ist. Meine Verantwortung liegt vor meiner Freiheit, ging es mir durch den Kopf. Ich kann eben nicht tun, was ich will (anders die  faschistoiden Tech-Milliardäre es für sich beanspruchen). Das Antlitz öffnete mein Denken: der Anderen hat Vorrang vor mir. In dieser Aufmerksamkeit verlor ich die Grenze meines zu engen Verstandes –für Augenblicke. So bereicherte er mich in ungeahnter Weise und vertiefte noch mal mein Erfahren in Aix, Cahors und hier in Paris  Er hatte seine menschliche Essenz der Achtsamkeit, der Empathie, der Freiheit und des Vertrauens entfaltet ohne es rational zu wissen oder gar es zu wollen. Und ich?  Hatte ich mich mit all diesem vom „Bösen“ entfernt, wenigsten etwas?

Was ich bislang ein komplexes „Netzwerk“ der Wirklichkeit nannte, möchte ich nun als „Raum“ bezeichnen. Die Wirklichkeit ist keine Kiste, in der etwas „ist“ oder „stattfíndet“, sondern ein unendlicher Beziehungsraum, der als ein Geschehen alles einbezieht. Dieser Raum ist die Bedingung für Leben und ermöglicht Freiheit. So wird aus dem Denken der Freiheit eine Freiheit des Denkens. Raum in diesem Verständnis ähnelt dem „Nichts“ oder der „Leere“ im Buddhismus, der die Fülle ermöglicht, z.B. das Erleben von Hingabe.

Meine Reiselektüre beschäftigte sich u.a. auch mit der japanischen Philosophie, in der das „Zwischen A und B“ eine große Rolle spielt. Aus meinem Anteil an „diesem „Zwischen“ kann ich nie aussteigen. Es ist Ausdruck von Resonanz und drückt Verantwortung aus. Der Sinn des Lebens findet dabei einen wichtigen Aspekt, denn er entsteht im „Zwischen“. Der Andere ist bedeutsam für mich und ich für ihn. Im „Zwischen“ entsteht mein verletzbarer Beziehungsraum. Das zwischen ist hier allerdings noch          dual gedacht, wenn auch als Erweiterung meines Horizonts. Diese Weite ist die Bedingung der Möglichkeit von Leben.

Unsere Öko-Krisen haben ihren Grund auch darin, dass nach den Bedingungen des Lebens zu selten gefragt wird, wir bleiben gerne an der Oberfläche, solange wir meinen die Wirk-lichkeit denkend-rational verstehen zu können, was ich in Aix zunächst nicht vermeiden konnte. Eines fehlte bislang in dieser Betrachtung: mir war bereits in Cahors bewusst ge-worden, die Gräber des Friedhof Montparnasse erinnerte mich: zum Raum des Lebendigen gehört der Tod. Er ist die Bedingung für alles Leben. Die dünne Schicht Humus, konnte nur entstehen, weil Pflanzen, Tiere, Menschen sterblich sind.

Sechs Monate später tauchte während der Fahrt auf der A 30 zu einem spontan verab-redeten Treffen unerwartet der Gedanke an die Einheit von Leben und Tod auf. bei der Musik von Chopin. Im Buddhismus heißt es: Leere ist Form und Form ist Leere. Ich musste Grinsen. Das beschreibt die Vergänglichkeit des permanenten Wandels. Form ist das sichtbare wie der Junge in Paris; wie Notre Dame; das sind Tatsachen. Leere ist der offene Möglichkeitsraum, der Freiheit schenkt, vlt ist es das o.a. Dritte; das mich nährt? die Verschränkung? Ich muss nicht den Samen von Hass wässern. Die Vielfalt der Natur führt es uns vor: es geht auch anders. Mensch-Sein als Ich-Sein heißt immer auch Wir-Sein..
Daraus folgte die Einsicht: die bisher als klar bestimmten Grenzen von Pflanze, Tier und Mensch verschwimmen immer mehr; das hatte die im Oktober verstorbene Affenforscherin Jane Goodall schon vor 5o Jahren entdeckt und wurde damals verlacht -auch von mir- nicht aus Versehen arbeitete sie später als hochgepriesene Klimaaktivistin.                                                                                
Was doch so ein schauendes vorurteilloses Verweilen an einer Hecke auslösen kann! 😊 ...

Ein Buch über Kosmonauten / Astronauten in der ISS zitierte das Erleben einige der dort streng rational lebenden Wissenschaftler ganz a-rational, ja, poetisch. „Die sich unter mir drehende Erde wirkte unwahrscheinlich weich und ihr Anblick war von solcher Pracht, dass es Dir den Verstand sprengt. ... Sie war eine nahtlose Welt, die keine Möglichkeit der Trennung kennt. ... In mir gab es plötzlich das inbrünstige Bedürfnis, diese riesige und zugleich winzige Erde zu beschützen. Sie ist ein schwebender Juwel. Ja, ich war im Einklang mit ihr – nicht als frommer Wunsch, vielmehr als gereizte Forderung.“

Ähnliches hatte ich in dem kleineren Kosmos an der Hecke erlebt. Er kennt kein „richtig“ und „falsch“, kein „herrschen-wollen“; es kennt nur Lebendigkeit -jetzt hänge ich mich weit aus dem Fenster:  es kennt nur  Lieben. Ein solches Erleben ist Schönheit und heilend.
Das Entsetzen Pascals über die Weite des Himmels ist mir fremd; den ich weiß , dass vor Milliarden Jahren riesige Sonnen explodierten, Billionen und Aberbillionen von Atomen  ent-standen; aus ihnen besteht auch mein Körper. Ich bin materiemäßig Kind des Kosmos. Ich begriff: die Bedingungen der Möglichkeit für Leben ist der Kosmos. Der Rest ist Schweigen.

So ist die Rede von „Einer Welt“ kein leeres Gerede, wirklichkeits-fremdes Gelaber. Es ist genau das Gegenteil, Ich erlebte eine Gewissheit, die ein Auftrag bleibt: alles Lebendige ist heilig und heilsam und heil. Und das Heilige will heil bleiben. Heilung ist politisch und meint die Welt. Alle zehntausend Dinge haben ihre Existenzberechtigung, auch wenn ich es nicht verstehe. Die Frage nach dem Startpunkt meines Denkens und Handelns muss immer wieder neu gestellt werden wie die Frage nach dem Weg. Das Gleichnis mit dem „Verirren“ gewann eine weitere Bedeutung.                                                                                      Das Einbeziehen des kosmischen Geschehens als mein Grund fordert Ehrfurcht und Demut, keine vertikal-demütigende, sondern eine horizontal-ökologische Demut, in der jeder / jede eingeschlossen ist – ungetrennt von Natur und Nachbarschaft. Das bedeutet für mich Mystik: mich der Welt zuwenden in einem Gefühls-zustand von Heiterkeit und Berührt-Sein wie von Traurigkeit und Staunen. Wer bin ich nun? Nichts und alles! Das lehrte mich die Meditation, sonst wäre sie nur vertane Zeit.

Am Ende musste ich meine Antwort zum Startpunkt ergänzen. Einmal: jeder Ausgangspunt ist willkürlich. Für das Leben als Ganzes bleibt der Ausgangspunkt auf ewig ein Geheimnis, denn wir werden nie alle Bedingungen für Leben wissen können. Zweitens: das Verweilen an Hecken, Brücken, Kathedralen, .. weitet meinen Blick und ließ mich erleben, wie sehr ich auf den Schultern vorausgegangener Menschen stehe, wie sehr ich getragen bin von der Arbeit unzähliger mir unbekannter Menschen, die tagtäglich etwas für Unbekannte tun, wie die Gärtner, die die Sportstätten in Ordnung halten, die Menschen von der Müllabfuhr, der Kanalisation. Dieses Eingebunden-Sein ist der Ausgangspunkt im Alltag. Freiheit von selbst-süchtiger Aufmerksamkeit öffnet dem Blick für das, was Schönheit ausdrückt und zum Handeln ruft. Damit hat die Philosophie für mich den Platz gefunden, auf den sie gehört. Für mich beginnt hier die Philosophie: an der Haustür und am Wegesrand oder sie ist keine.

Für die Forderung nach einer Ethik, die das Nicht-Menschliche einschließt, fand ich ausge-rechnet im Paragraph zwei der bundesdeutschen Straßenverkehrsordnung eine brauchbare Ausformulierung: „Wer am Verkehr (hier: Leben) teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, behindert oder belästigt wird.“ Ja, wer am Leben teilnimmt, hat sich so zu verhalten.  --- ist noch mehr zu sagen?                                                                                                    Meine krumme, ununterbrochene Lebenslinie verbindet mich mit den Microorganismen in den Urzeiten der Erde mit allen Evolutionsschritten über Einzeller, Mehrzellern, Fischen bis hin zu mir als Mensch. Ohne all diese Vorfahren des Lebendigen gäbe es mich nicht. Eine weitere, nur verlängerte Linie verbindet mich mit der Sonne, dem Kosmos als die Bedingung der Möglichkeit von Leben. Das verpflichtet. Kann ich mehr als diese Einsicht von meinem Leben erwarten – bei aller Skepsis? Indem ich diese Line erkenne und anerkenne, erlebe ich meine Bedeutung und die aller anderen Wesen; Du bist wichtig; ich bin wichtig.

Die Naturwissenschaften liefern Erklärungen, keine Begründungen, nicht zu verwechseln mit  Wahrheit. Begründungen sind offen. Dabei ist Sprache nicht nur eine Frequenz. Die Wirklichkeiten sind sprachlich nicht zu fassen. Da bleibt mehr als ein Rest übrig z.B. mein Erleben. Als Bestandteil dieses Raumes trage ich Verantwortung, dass der Raum als das „Heilige“, heil bleibt. Nur innerhalb dieses Rahmens darf ich frei leben und handeln.

Welcher der Kardinäle hat denn nun Recht in Bezug auf die Gewissheitsfrage? Weder der eine noch der andere. Und doch: beide je für sich: weil jeder sein Beziehungsraum ist, mit allen Ängsten und Träumen von Sicherheit. Die gewaltfreie Betrachtung der Wirklichkeiten, sei es an einer Hecke, einem Baum, am Fluss, bedeutetet für mich jetzt endlich eine Welt zuzulassen, die nicht auf Nützlichkeit der Natur, sondern auf einer Beziehung auch zum Nicht-Menschlichen beruht. Die für kurze Momente erlebte Non-Dualität  an der Hecke, beim Mittagessen in Paris ist -so las ich später bei dem Zen-Lehrer und Theologen Michael von Brück-  das charakteristische Muster meditativer Erfahrung; sie ist kein ozeanisches Gefühl, sondern die Erfahrung der Ich-Integration in ein Ganzes. Nur auf der Non-Dualität beruht Mitgefühl und die Kraft zum Engagement. Bewusstsein erzeugt sich stets neu nach selbster-zeugten Mustern, die sich ständig verändern, die wohl nicht beliebig ausfallen dürfen.

Das kann schwindlig machen, denn auch mein Selbstbild bekommt Risse. Hilfreiche!. Dies „flüssige Bewusstsein“ befähig mich, meine Bezogenheit zur Welt und im Alltag wahrzunehmen und zu leben. Die Welt ist eine in sich dynamische Einheit, die tanzende Nataraj des Hinduismus.

„Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, leben aber muss man es nach vorne,“ sagte Kirkegaard. Daher gibt es zwei Aufgaben. Aufgrund der ersten Aufgabe schreibe ich Tage-buch. Die zweite Aufgabe ist die Reflexion. Was verändert das? Ich glaube: alles!

So gesehen sind Krisen hilfreich, heute geht es um mehr als um Selbstverwirklichung  -wie ich bisher dachte- , sondern bereits um den Selbsterhalt der Menschheit. Dies ist die tatsächliche, brutale Zeitenwende. Wir leben weder im Krieg, noch im Frieden. Die Be-dingungen des Selbsterhalts der Menschheit ist der heilbleibende Raum des bedingten Entstehens, den ich bewohne. „Jeder Krieg ist ein Bürgerkrieg“, hatte ich vor vielen Jahren einem jungen Israeli im Himalaya gesagt, der zuvor in der ersten Intifada gegen die Palästinenser gekämpft hatte. „So kann man das auch sehen“, war seine knappe Antwort. Nein, so muss man es sehen, denke ich heute.

Was ist nun mit Kafka. Und Hannah Arendt?  Kant hatte uns gewarnt mit seiner Feststellung: die Grenzen der Vernunft sind nicht die Grenzen der Wirklichkeit. Es geschieht viel mehr, das zu ignorieren ist armselig Dies anzuerkennen löste in mir auf der Rückfahrt ein plötzliches lautes, völlig freies, freudiges Lachen aus, das ganz tief von Innen kam und lange anhielt. Ja, Freude wird verhindert durch jede Bedrückung. Das ist vergeudete Lebensenergie. Weder waren die Krisen weg, noch Trump und Putin, doch schienen sie mir als „arm-selige“, ängst-liche Wesen. Erstaunlich: dies befreiende Lachen taucht ungewollt auf, indem ich es hier schreibe. Ein wichtiger Aspekt der Bedingung dieses Lachens: aus der Offenheit und dem Wunder des Lebendigen zu atmen, zu denken, zu danken, zu lieben.

And I say to myself, what a wonderful world …

Die Frankreichfahrt 2025 hat mich verändert. Glaubenssätzen ändern sich nicht auf Knopfdruck; der Kurs eines vollen Tankers braucht einen weiten Wendekreis. Der kann nicht nach wenigen Monaten vollendet sein; im Schreiben dieser Zeilen entstehen vlt. Wurzeln des Erfahrenen im Speicherbe-wusstsein meines Gehirns. Mir scheint, mit der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von xyz verlasse ich die bloße Oberfläche der nur scheinbaren Wirklichkeiten, wenigstens ein wenig. Somit ist der Kreis nicht geschlossen. Welch ein Glück!     
  
Nur wenn es uns gelingt offen zu bleiben gegenüber dem bestirnten Himmel über uns, uns innerlich berühren lassen von der Weite und vom „Geschmack“ der nahen Erde unter uns, leben wir in einer reichen Welt. Die Krux für die sich als unangreifbar haltenden Tech-Milliardäre: dies Erleben ist nicht herstellbar, es bedarf der Demut, der Offenheit, des Verweilens, des Vertrauens in etwas Größeres, dass sich unserer Sprache, ja, des Verstandes entzieht und das sich vlt. als Liebe outet, würden wir still sein und die innere Antwort erlauschen wie sie mir in Frankreich erklang. Schon Hölderlin formulierte eine Einladung, die ich gerne wiederhole: Komm ins Offene, mein Freund... !                               
So wurde das Jahr 2025 wurde so für mich ein überaus erfreuliches, lern- und erfahrungs-intensives Jahr – trotz allem anderen. Ich bin sehr dankbar; ich danke für diese Reise, dieses Leben, ich danke für meinen bisherigen Lebensweg; ich danke auch all denen, die daran beteiligt waren. Es waren viele.

Dein   
Wolfgang