Einladung zum
Meditationsseminar
Meditationsseminar
Hallo zusammen, liebe Freunde und Freundinnen,
am 6. – 8. Dezember steht das nächste und letzte Meditationsseminar dieses Jahres auf dem Terminkalender. Thema:
Besinnung auf ein
(erfülltes / unerfülltes)
Jahr 2024
Am Ende eines jeden Jahres drängt sich die Frage auf: was ist in den letzten zwölf Monaten geschehen? Welche Freuden und Krisen haben sich gezeigt, welche sind neu hinzugekommen? Krisen gehören zum Menschsein dazu wie auch Freude. Hatten sie Dich oder Du sie? Krisen sind Zeiten der Wende, medizinisch geht es dabei aufwärts oder abwärts. Wir sind zu nahe dran, um das eine oder andere zu wissen.(erfülltes / unerfülltes)
Jahr 2024
Das Seminar soll Besinnung sein, kein Jahreswechselseminar mit Rückblicken, Fest-essen, Jubel, Trubel. Danach ist mir in diesen Zeiten nicht zumute.
Doch gilt Hesses:
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Dieses Jahresende wirft die Frage auf: leben wir tatsächlich in einer Zeitenwende, vielleicht gar in einer noch nicht wirklich begriffenen Wende? Bedarf es eines grundlegenden anderen Welt-, Selbst- und Menschenbildes als das gewohnte? Eines völlig anderen Denkens mit einer vlt. anderen Logik?
Wo sehe ich mich selbst derzeit? Opfer, Täter? Oder bin ich auch ratlos, orientierungslos, fassungslos wie viele Menschen beim Blick in das politische Geschehen? Überleben reicht nicht, heißt ein Seminar im neuen Jahr. Vielleicht können wir es in diesem Seminar vorbereiten. Was reicht zu einen "guten Leben"?
Wenn Du teilnehmen möchtest, solltest Du Deinen Seminarbeitrag in Höhe von € 195 (Normalpreis) bis € 160,- als ermäßigter Beitrag für Geringverdienende, Schüler und Studenten nach Absprache; Einzelzimmer -falls verfügbar ( in bar 40 € )- möglichst bald auf das Konto der STÄTTE DER BEGEGNUNG bei der Sparkasse Herford überweisen ( IBAN DE 77 4945 0120 0250 0017 73 IBIC WLAHDE 44 ) überwiesen, €. Stichwort ist: Seminar 6.- 8.Dezember 2024.
Du kannst Dich verbindlich per e-mail anmelden, auch per Telefon (auch sms, whatsapp). Und wenn nötig, gib mir bitte auch Bescheid, wenn Du doch verhindert bist..
Das Seminar beginnt am Freitag, 6.12..2024 mit dem Abendessen um 18 Uhr und wird am Sonntag gegen 12.3o nach der Abschluss-runde enden.
Dein
Wolfgang
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Jahresbrief 2024/ 2025
Wolfgang Buchhorn 34. Jahresbrief 2024/2025 Im November 2024
Pythagoras wurde gefragt:
“Wozu ist der Mensch auf Erden?“
Pythagoras Antwort:
„Um den Himmel zu betrachten.“
“Wozu ist der Mensch auf Erden?“
Pythagoras Antwort:
„Um den Himmel zu betrachten.“
Hallo liebe Freunde. Freundinnen, BegleiterInnen !
Geht nur ein Jahr zu Ende oder gar eine Epoche; die Vielzahl gleichzeitiger Krisen weltweit sind Spiegel unserer Wirklichkeiten innen und außen. So mag Hölderlin uns ermutigen: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Mein 2024 wurde zu einem Hinweis auf das Rettende. Krisen weisen auf Wendepunkte: Tod oder Heilung. Das hängt von meinem Menschen- und Weltbild ab. Rilke rät: „Du musst dein Leben ändern!“
Das nun ablaufende Jahr war für mich ein Kant- und Lesejahr. Die ziemlich dicken Bücher gaben neue Impulse für mein Selbstverständnis. Mit Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ begann es und ließ mich fragen, welche Eigenschaften drücke ich selber aus und von welchen ahne ich nichts, welche verdränge ich? Über die Naivität mancher „Mitspieler“ im Buch musste ich lächeln, mitleidig. Der Antwort kam ich am Ende näher. Dabei öffnete mir Huizings „ Lebenslehre – eine Theologie für das 21.Jahrhunderts“ weitere Denkwege. Die Bezeichnung von Religion als eine Lebenslehre faszinierte mich, meine eh schon brüchige Gottesvorstellung wurde noch brüchiger und vielleicht deshalb fruchtbar, weil die Selbstverantwortung gefordert ist, die heiligen Schriften keine Wahrheiten verkünden, sondern Zeugnis ablegen, „was damals geglaubt wurde“. Kein Geschichtsbuch, ein Geschichtenbuch, kam mir wieder in Erinnerung. Es gibt eine Theologie vor und eine nach Kant.
Es folgte Thomas Mann „Josef und seine Brüder“. Ich konnte mich kaum sattlesen an den prächtigen Bildern, die er schilderte und die Fantasie blühen ließ; dem Krimi, die Tragik und das Selbstvertrauen von Josef. Ich versank förmlich in der verzaubernde Sprachmächtigkeit des Autors wie auch Jean Malaquais in „Planet ohne Visum“ über die vor den Nazis flüchtenden Menschen in Marseille und dem Internierungslager Les Milles bei Aix-en-Provence. Genau dort begann ich das mich erschütternde Buch über die Schicksale der vielen Flüchtenden zu lesen; viele scheiterten wie Walter Benjamin durch die Vichykollaborateure, die viele, auch jugendliche Widerstandskämpfer den Nazis auslieferten.
Nach der Erholung bei Roes „Melancholie des Reisens“ -in dem ich hilfreiche Reiseanregungen zum Verständnis des Reisens allgemein fand- wagte ich mich an die Kantlektüre. Es fühlte sich wie eine Neugeburt an; nach der Lektüre von Hegel hatte ich gesagt: Jungbrunnen. Selten waren Bücher so wirkmächtig bei mir. Nach der Rückkehr aus Frankreich war stand Eilensbergers „Geister der Gegen-wart“ auf der Leseliste. Die dort geschilderten Denkwege von drei Philosophen und einer Essayistin nach dem Ende des Zweiten Weltkriege ließ bei mir ein erhellendes Feuerwerk aufleuchten; unserer derzeitigen Krisensituation gleicht ihr in meiner Einschätzung. Geschichte wiederholt sich nicht und wenn doch, dann als Tragödie oder Komödie. Wenn es nicht so ernst wäre, fällt mir Trump sein.
Unsere Tragödie liegt darin, so scheint mir, dass wir immer noch nicht aus der Unmündigkeit heraus-getreten sind, zu der Kant uns ermutigte und aufforderte. Sapere aude ! Habe Mut Dich Deines Ver-standes zu bedienen. Der mangelhafte, zumindest eingeschränkte Gebrauch der Vernunft taucht auf, wenn ich an die deutliche Dringlichkeit in Sachen Klima denke, dazu die Ergebnisse der Wahlen zum Europaparlament und in drei Bundesländern und an die Art des Endes der Ampelkoalition; dann zweifle ich am Realitätsbezug der Verantwortlichen, zu denen auch der Wähler, die Wählerin gehört.
Noch nie hat das Verdrängen oder die Leugnung der Wirklichkeit geholfen; in Bezug auf den Klima-wandel steht das Schicksal einer menschenzuträglichen Welt auf dem Spiel, inkl. das der Klima-leugner. Die Tragödie kann eintreten, wenn ich in diesem Zusammenhang an Trump denke oder an die Verbrechen im Nahen Osten. Mangelnde Vernunft zeigt sich auch in der Autoindustrie. Seit vlt. dreißig Jahren ist bekannt, dass die Mobilität andere Lösungen erfordert als durch Privatautos mit Verbrennungsmotoren, SUVs. Seit ca. 1960 wissen die Ölkonzerne, dass das Verbrennen von fossilen Brennstoffen das Klima zerstört. Vernünftig wäre, anders zu denken, statt irrationale Ignoranz zu pflegen. Das Ergebnis zeigt sich heute in den Krisen von VW, Ford, Bosch, Thyssen-Krupp, etc.
Eine lineare Logik rechtfertigt Kriegsverbrechen, um Massaker zu rächen. Das ist böse. Das nicht nur in Gaza auftretende Dilemma (Hamas mit Bomben und Raketen zu bekämpfen ohne Krankenhäuser zu zerstören und Verhungern als Kollateralschaden zu verharmlosen ) zeigt bei Gebrauch der Vernunft, dass kein Militäreinsatz die Lösung sein kann. Vernunft erfordert Fantasie, das Gespräch, keine Ideologie von Großisrael. Ich bin Baerbock dankbar, dass sie das Völkerrecht deutlich über Nationalinteressen stellt. Den Vorrang von Recht und Gesetz lernte ich durch Kant in Bezug auf Nahost noch deutlicher schätzen Das scheint den Befürwortern der Kernenergie auch in Frankreich nicht klar zu sein, wenn sie einer Energieerzeugung anhängen, die die teuerste ist, selbst wenn die Kosten der Endlagerung unberücksichtigt bleiben. Das ist irrational.
Maren Urners Buch „Radikal emotional“ ergänzte und aktualisierte meine Beschäftigung mit Kant. Vernunft ist nicht alles, doch ohne Vernunft ist alles nichts. Die „Geister der Gegenwart“ warnten: die Vernunft selbst ist nicht nur vernünftig. Die Vernunft der Aufklärung muss auch eine Aufklärung der Vernunft sein. „Freiheit zu ..“ bedeutet Leben, das sich ausdehnt und wächst; es gleicht damit dem Bewusstsein. Wenn ich in meinen Meditationsraum sitze (kann auch ein anderer Raum sein), sehe ich zunächst nur beengende Wände und gleichzeitig durchdringt mich ein Ahnen: jenseits der Wände ist Weite.
„Sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“ wurde deutlicher als je für mich zum guten Maßstab meiner Betrachtungen des Weltgeschehens; dabei setze ich Verstand nicht mit Wissen gleich, er bedeutet für mich die Zusammenhänge in einer vernetzt zu denkenden Welt zu erkennen. Was wir heute Vernunft nennen, hieß bei den alten Griechen „nous“, was so viel wie „Ahnung“ ausdrückt – ich glaube nach diesem Jahr: mehr als Ahnen ist dabei nicht möglich und nicht nötig. Ahnen ist nicht „spinnen“, sondern „sich berühren lassen“ wie etwa von einem Gedicht.
Die Erinnerung an den 3oo.Geburtstag Immanuel Kants begleitete mich und mein Denken das ganze Jahr. Die Aktualität seiner Definition der Aufklärung durchzog etliche Seminare, vor allem aktualisierte es mein Selbstverständnis, denn die Beschäftigung mit ihm gehört zur Arbeitsplatzbeschreibung meines Lebens, stellte ich am Ende fest, den Anstoß fand ich in der „Theologie des 21.Jhs.“
„Aufklärung ist der Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unver-mögen sich seines Verstandes ohne eine Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist sie, wenn die Ursache nicht am Mangel des Verstandes beruht, sondern am mangelnden Mut. Sapere aude: habe Mut Dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ Mehr ist nicht zu sagen, wäre es mit der Aufklärung alles OK.
Wir sind heute Zeugen der Zerstörung und Selbstzerstörung der Aufklärung, indem wir gegen unser Wissen die Ausbeutung der Natur zulassen und somit unsere Lebensgrundlage vernichten; indem wir Wälder abholzen, Pflanzen und Böden vergiften; indem wir Waffen bauen, die zu einer planetarischen Selbstauslöschung führen können; zulassen, dass sich die Schere zwischen arm und reich weiter öffnet; den jungen Menschen muteten wir die seelischen Schädigungen nicht nur durch „social media“ und Cybermobbing zu, auch Kriege, den Tod der Eltern, Freunde; und machten sie heimatlos. Die Liste ist lang, zu lang.
„Der Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ist Auftrag; die Antwort fällt nicht vom Himmel. Es ist Arbeit. Der Faschismus lehrt uns, dass die unaufgeklärte Vernunft zur instrumentellen Vernunft wird, die Auschwitz möglich machte und andere Gruseligkeiten. Mit der Zerstörung der Aufklärung geraten wir tiefer hinein in die Unmündigkeit und verlieren so Demokratie und unsere Freiheit. Die Freiheit in der Gesellschaft ist unabtrennbar vom aufklärerischen Denken. Ich fürchte, keine KI kann aufklärerisches Denken leisten und für uns Freiheit bewahren. Nicht aus Versehen las ich angesichts der Ruinen der röm. Arena in Arles bei Ortega y Gasset: “Je tiefer und elementarer ein Bestandteil unserer Überzeugungen ist (hier: Freiheit, Demokratie, W.B.), desto weniger kümmern wir uns um ihn und strenggenommen, nehmen wir ihn nicht einmal wahr.“ So ist Demokratie und Freiheit seinen Gegnern ausgeliefert, wie auch die Aufklärung. Das ist gefährlich.
Ist Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ nur eine schöne Absicht? Wie die Verbindlichkeit des Völkerrechts? Das von Hegel geforderte reale Tun ist der Krieg gegen die Ukraine; das Verbot der UN-Palästinenserhilfe durch Israel; es stoppt die Lebensmittelversorgung, die Gesundheitshilfe, das Krankenhauswesen in Gaza. Ein Verbrechen besonderer Art. Wie auch die halbherzige Klimapolitik. Der Klimaforscher Mojib Latif wirft der Weltpolitik Realitätsverweigerung vor. Das 1,5-Grad-Ziel ist de facto gerissen. Gegenwärtig steuert die Welt auf eine Erwärmung um etwa drei Grad zu, selbst wenn alle beschlossenen Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden sollten, die Erwärmung ist bereits heute für viele Menschen ein Grund zum notwendenden Fliehen. Sie haben Hunger. Schon jetzt gibt es eine halbe Million Klimatote. Rührt und das? Der UN-Klimagipfel COP 29 in Baku ist nicht ges-cheitert, doch das Ergebnis ist Betrug an den armen Ländern und für uns ein Selbstbetrug
Die Überschwemmungen in diesem Jahr in Bayern, Österreich, Tschechei, Polen, Frankreich, Griechenland, im Oktober/November in Spanien mit fast 250 Toten, etc. weisen darauf hin: es geht nicht um das Klima, sondern um das Leben von Menschen. Oder nehmen wir die Toten in Kauf, so-fern es die Anderen sind? Wie im Nahen Osten? Die Wähler nicht nur der AfD verdrängten oder verstehen nicht, dass es um ihr eigenes Leben in einem menschentauglichen Klima geht. Dieses Unverständnis über das Ziel zeigte sich in der manipulierten Diskussion um das Heizungs-gesetz. Wer einen Schuldigen sucht, findet einen, doch jeder andere als der Suchende selbst, ist der Falsche. Hart, doch zutreffend war eine whatsapp, die ich bekam: „der Dumme sucht einen Schuldigen, der Intelligente eine Lösung.“ Die FDP und wie mir scheint, auch die CDU sucht keine Lösung, wenn sie Klimagesetze bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Empörung suggerierende Erzählungen erhalten Gewicht, nicht aber Fakten. Das ist Teil unserer Krise.
Wir müssen erkennen, dass wir Teil des Problems sind, nicht Teil der Lösung -das sollten wir aber als vernunftbegabte Bürger verstehen. Deshalb gehören zu meinem Verständnis von Aufklärung diese Fragen. „was kann ich wissen? Was kann ich hoffen? „was soll ich tun?“ - von Kant zusammen-gefasst als: „Was ist der Mensch?“ Seit Beginn der Philosophie zielt sie auf das Nachdenken, was denn ein „richtiges Leben“ sei. Das ist bei weitem nicht nur subjektiv, denn der Mensch ist immer politisch und sozial. Adorno´s Antwort war negativ. In Frankreich reifte in mir eine positive.
Mephistopheles beschreibt sich in Goethes Faust: „Ich bin Teil der Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ Trifft für uns Menschen die Umkehrung zu: „wir sind Teil der Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“ ? Zu oft neige ich dieser Umkehrung zu. Innerlich hoffe ich, dass Hobbes gegen Rousseau verliert.
Über das alles Mitgefühl übersteigende Geschehen im Gazastreifen, im Libanon, im Sudan, etc. wollte ich schweigen, weil es mir das Herz zerreißt. Durch die erschütternden Bilder zeigt sich mir wie aus Unrecht, Angst, Macht (inkl., Ohnmacht), geduldete Verbrechen, Missachtung von Menschenwürde und Menschenrechten ein Ungeheurer entsteht, das kaum zu bändigen ist und immer nach neuen, auch unschuldigen Opfern verlangt. Der explodierende Pager zerfetzt Säuglinge, Kinder, Alte, sicher auch Hisbollahkämpfer. Was dazu der Vorsitzende der dtsch-jüd. Gesellschaft Volker Beck zu Proto-koll gab, machte mich fassungslos: „Das ist ein Grund zum Feiern.“ Das heißt: wenn „die Anderen“ sterben ,ist es egal oder gar gut.
Mich erschreckt, dass auch das Verhungern von Menschen als „sinnvolle“ Kriegswaffe und eine Sippenhaft fungieren darf, dass kannte ich nur von den Nazis. In den Vertreibungen von Millionen Menschen im Nahen Osten werden diese Menschen zu Dingen, Objekten. Das verwirft die Aufklärung eindeutig: niemals darf der Mensch allein zu einem Mittel werden, immer ist er ein Wert an und für sich. Die Vertreibungen aus Gaza gleichen einer ethnischen Säuberung. Mich erschreckt die Sprache, die das Töten oder Morden von Menschen als „Eliminierung“ „Liquidierung oder „Beseitigung“ ver-harmlost. Das klingt schlimm, weil es schlimm ist. „Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte, achte auf deine Worte; denn sie werden zu deiner Gewohnheit, sie machen später deinen Charakter aus“ heißt es im Talmud.
Als Lehre aus der Barbarei des Nationalsozialismus gab Adorno eine noch heute gültige Mahnung, die auf das alles entschuldigende Mitmachen nicht nur seiner professoralen Kollegen zielte, sondern auch das stillschweigende Akzeptieren der Unmenschlichkeit: „es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Meiner Philosophie geht es um ein richtiges, also gelingendes Leben für alle; Leben ist immer sozial, schon seit der Zeugung; erst ein solches Leben wird dem Menschen zu einer Heimat.
Die Welt ist weder linear noch einfach und nicht dual, sie geschieht als komplexer vernetzter Prozess; sie lebt ausschließlich in gegenseitiger Abhängigkeit aller Phänomene. Das fordert eine neue Antwort auf Kant´s Frage „Wer bin ich?“: nämlich konkret „ich bin das, was mich konkret ausmacht, mein innerer Kontext.“ Das von der israelischen Regierung geforderten Absehen des Kontextes, ja dessen Verteufelung Anbetracht des Massakers der Hamas wirft Fragen auf. Das Berücksichtigen des Kontextes ist kein Antisemitismus, auch nicht die begründete Ausstellung eines Haftbefehls, wenn Verbrechen vorliegen. Der Kontext ist Voraussetzung des Verstehens und damit ein Tor zur Lösung eines Problems. Verstehen ist nicht Verzeihen. Ohne Verstehen des Kontextes verpasse ich den Grund meines Lebens, verpasse ich mich als Mensch. Das kommt vor. Nicht einmal in der Ver-drängung können wir diesem äußeren Kontext entkommen. Er ist die Welt „draußen“. Schicksal?
Nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten bleibt nur Fassungslosigkeit. Sein „Kompetenzteam“ ist ein Horrorkabinett. Gleichgültigkeit, Flucht in die Ironie oder den Sarkasmus vor dieser Wirklichkeit hilft nicht. Das Jammern ist toxisch und wirkt auf mich toxisch. Es zu ignorieren ist fatal. Mit meiner Ohn-macht an dieser Stelle muss ich leben und hier aufpassen, dass das aus den USA zu uns nicht über-schwappt.
Die Gefährdung der Demokratie wird nicht mit einem Putsch geschehen, sondern durch ein sanftes Aushöhlen von Innen. Dieses Aushöhlen geschieht auch dadurch, dass die Agenda der Rechten von (noch) demokratischen Parteien übernommen wird, „um so den Rechten Stimmen wegzunehmen“ wie es entschuldigend gesagt wird; doch das ist nie eingetreten. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, auch nicht in einer Koalition, wo einer der Beteiligten sowohl Regierung wie Opposition spielt. Solch Politikverständnis stärkt die Unglaubwürdigkeit der Politik und trägt damit zum Niedergang der Demo-kratie bei. Das hilft der AfD. Politische Beobachter bekunden, dass die FDP von heute Kompromiss-unfähig ist, d.h. es fehlt in der Führung der Partei an einem wirklichen Demokratieverständnis. Ein böser Vorwurf. Die ehem. Freiheitspartei wandelte sich zum Klientelverein. Vorwurf? Nein Faktum.
Aufklärung fordert den permanenten Kampf gegen Ignoranz und für logisches Denken, Reflektion, also Kritik auch sich selbst gegenüber; sie fordert Unterscheidung zwischen Meinungen, Ideologie und faktengebundenen Aussagen. Sie wendet sich an den Menschen, dem Kant Vernunft zumutet und daraus seine Würde ableitet. Soweit der erste Anstoß von Kant auf mich.
Der zweite Anstoß ergänzte das erste Verständnis von Aufklärung und wurde grundlegend in meinem Selbst- und Weltverständnis als Erfahrung: „Zwei Dinge erfüllen mein Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ In einem Anflug von Leichtsinnigkeit in einem Meditationsseminar in Bayreuth verdeutlichte ich im gleichen Atemzug den Ausspruch von Kant: das moralische Gesetz bedeutet für mich schlicht und einfach: „hab mich lieb“ --- wobei damit Mensch und Tier und Baum, d.h. die Erde gemeint ist. Ich selbst war von dieser Aussage fast peinlich überrascht, doch je mehr ich darüber nachdachte, desto schlüssiger kam es mir vor. Bis heute.
Zunächst der „bestirnte Himmel über mir“: angesichts der unendlichen Weite wird mir bewusst, wie winzig ich bin, es keinen Grund gibt sich aufzuplustern, ja. ich bin fast ein Nichts. Aber nur fast: denn ich habe menschliche Fähigkeiten wie die Kraft der Imagination, Reflexionsvermögen, weiß um meinen Tod, kenne Lieben und kann mir dessen bewusst sein. Mit den Sternen findet nicht nur die Weite in mein Herz, sondern eine Art unendlicher Zeit, also eine Ahnung von Zeitlosigkeit. Ewigkeit?
Und da kommt das moralische Gesetz ins Bewusstsein, in der mir verständlichen Aussage: „hab mich lieb.“ Diese Liebe kennt keine Grenze, keine Auswahl, gar Selektion; sie umfasst alles und jedes, steht mir jederzeit zur Verfügung, denn sie ist nicht nur mein unveräußerlicher Kern, sondern auch der der Wirklichkeit. Eine handhabbare, nachvollziehbare „herzliche“ Ethik. Diese Herausforderung ist es noch lange keine alltägliche Realität von mir. es gibt noch viel zu tun. Denn: die Wahrheit der Absicht ist das Tun, fordert Hegel.
„Hab mich lieb“ ist dabei kein so nebenher zu sagender Satz, das wäre Kitsch; er muss aus dem Herzen kommen, soll er echt sein; in Frankreich fiel mir dazu ein hilfreiches Verhalten ein, das diesen Vorgang ins helle Licht bringt: Verweiltherapie. Mephisto in Goethes Faust hat nicht Recht, wenn er prophezeit: „wenn Du zum Augenblick sagst: „verweile doch, Du bist so schön“ ist deine Seele des Teufels.“ Ganz im Gegenteil: ich erlebte eine weite, offenere Wirklichkeit, die mich überschritt. Es war eine Ahnung von „Unruhe von Transzendenz“. Weite, Offenheit. Nicht dauernd. Nicht verfügbar.
Damals unreflektiert fand ich im Tagebuch über meine erste Trekkingtour in Nepal eine Aufzeichnung ähnlichen Inhalts. Auf ca. 2800 m Höhe blickte ich in tief-dunkler Nacht in den Himmel, die Sterne über mir schienen greifbar nahe; ich musste mich an einem Felsen festhalten, um nicht das Gleichgewicht bei schlotternden Knien zu verlieren; mein Körper begann so heftig zu zittern wie ich es nie zuvor erlebt habe. Ich schrieb in der Tagebuchnotiz „mir geht es sehr gut, körperlich nach dem Essen wieder top, doch von heftigstem Schüttel-frost überfallen“. Auf allen Vieren kroch ich in mein Zelt und schlief zitternd und gerüttelt darüber ein. Am nächsten Morgen dachte ich nicht mehr an den „Schüttelfrost“, doch erschien mir die Welt freundlich-mich-umfassend, liebender als in den Tagen zuvor. In mir war ein Grundgefühl des Selbstvertrauens gelegt: „mir kann nichts passieren“. Erst Kant erinnerte mich jetzt wieder an dieses Erleben, an dem ich achtlos -glücklos- vorbei gegangen war.
Vier Tage später überfiel mich die Höhenkrankheit mit schmerzhaften Wahnvorstellungen; noch einmal eine gute Woche später verirrte ich mich beim steilen Abstieg durch pfadloses Unterholz des Himalaya. Jeder Bänderriss hätte meinen Tod bedeuten können, niemand wäre je vorbeigekommen. Aus heutiger Sicht war ich dumm und naiv. Waren es gute Mächte, gute Kräfte, die mich bargen?
Ob ich das alles ohne „hab mich lieb“ geschafft hätte, weiß ich nicht. „Der bestirnte Himmel über mir ...“ ist eine sinnstiftende Erfahrung aus der Stille, wenn sie erwartungslos geschieht. Das wusste schon Pythagoras. Mir scheint am Ende dieses Jahres, das dieses Erleben Grundlage von Lieben, Weite und Zugehörigkeit ist und damit die Forderung erfüllt: sei ein Mensch als Teil dieses Uni-versums! Sei realistisch. Radikal. Ich muss zugeben, dass ich dies nicht bis zum Ende zu durch-denken wage, dazu reicht wahrscheinlich mein Denkvermögen nicht, realistischer ist wohl die Angst vor den Konsequenzen. Vorläufig reichen mir Ahnungen. Und das Schweigen, wie es diie Meditation wohl nicht ohne Grund fordert.
Weniger spektakulär waren auf meiner Frankreichreise im Mai/Juni die Wahrnehmungen der Welt als „vertraute Heimat“, die mir Sicherheit gibt und „ich gehöre dazu“: seien es alte Häuser, brüchige Fassaden, Parks, Menschen, Plätze, eine Kirche ... etwa in Aurillac, in Apt, früher in Paris. Diese Aufenthalte waren Geh-Meditationen, ohne sie so zu benennen, ein Flanieren mit einem empathischen Blick. Vielleicht würde „Pilgern“ besser passen, nur wartete am Ende kein fremdes Grab, letztlich nur das eigene. Bis dahin gibt es kein Ende, nur beseligende Verbundenheit; ich war angekommen und blieb Entdecker. Es war eine wortlose Schulung im Verzicht auf Erklärungen, Analysen. In Laufe der Aufenthalte in Frankreich begriff ich: ja, ich war in Aix, in Paris, in Cannes angekommen; angekommen in Marseille bei den Flüchtlingen, in der Theologie des 21.Jh., dahin, wo ich bin: bei mir als Wanderer. Pilger. Nicht unversehrt. Oft ernüchtert.
Verweilen können ist in dieser Zeit der zunehmenden Geschwindigkeit eine kaum zu leistende Disziplin. Auch das bedarf der Übung, sonst gehe ich an Erfahrungen achtlos vorbei, an denen ich hätte wachsen können. Geistesgegenwart. Das ist Meditation: das Üben von Geistesgegenwart.
Der Blick in den bestirnten Himmel berührte mich jedes Mal, doch es war noch dual gedacht. Das Gegenteil -Jaspers nennt es das Umfassende- ist Vielfalt, kein Einheitsbrei, ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten. Das ist nur lebensfähig als Liebe. In Aurillac entdeckte ich lesend, dass die Ent-wicklung vom Neandertaler zum homo sapiens auf der Entfaltung von Intelligenz beruht, tiefer geschaut: auf Freundlichkeit als ein Aspekt der der Liebe. Dies kommt mir im Nachhinein bekannt vor. Im Buddhismus, in der gelebten Meditation: Lieben ist unser Grund und auch Trauer eine Form des Liebens.
Die wirkmächtigen Philosophen, die nach dem Krieg nach Europa zurückkehrten, hatten ein Ziel: „nie mehr ein menschenverachtendes Regime!“ Nie mehr. Adornos Weg hieß: „Mut zur Mündigkeit“ als Grund einer Demokratie in Freiheit. Unausgesprochen heißt das: Sei ein Mensch. Es ist bitter, dass diese Frage immer noch aktuell ist, wenn ich an die wachsende Fremden- und Emigrantenfeindlichkeit denke. Da fehlt alle Freundlichkeit und ein Schamgefühl, das nur der Mensch kennt.
„Sei ein Mensch“ klingt gut, klingt wahr, klingt nach Aufforderung, denn der massiv durch Medien vermittelte Alltag sieht anders aus: Attentate, Morde, Gewalt selbst von Kindern. Wer tiefer schaut erkennt allerdings: wir sind damit unserer eigenen Natur entfremdet, dem Nachbarn, dem Flüchtling: ökologisch, sozial, politisch. So ging uns unser Grund verloren.
Zur Antwort auf die Frage Kants „Was ist der Mensch?“ gehören auch die Strukturen der gefährdeten Demokratie und der Rechtstaats, ein marodes Schulsystem, das anscheinend nicht in der Lage ist, Werte zu vermitteln. Menschenfeindliche Strukturen fallen nicht vom Himmel, sie sind gewollt, von Menschen, die vlt. selbst entfremdet sind. Selbst irrational ist der Ruf nach mehr Rationalität wie der Umgang mit den Ursachen der Klimakatastrophe uns jeden Tag neu und dringlicher vor Auge führt.
Der sich darin zeigende Kampf gegen die Natur ist ein Kampf gegen das Leben und damit gegen das Lieben. Der Ursprung dieses Denkens liegt weiter zurück als Platon, vlt. mit dem Beginn der Acker-baukultur. Die forderte Zusammenarbeit und Freundlichkeit. Bei indigenen Völkern war das Verhältnis Mensch-Natur ein spirituelles, eine spirituelle Einheit allen Lebens. Die Aufforderung „Sei ein Mensch!“ hätte wohl eher geheißen: „Sei lebendig!“ Diese Haltung haben wir verloren, scheint mir, vlt. noch nicht unwiederbringlich, hoffe ich. Wann und wie bin ich wirklich lebendig?
Trotz oder wegen all dieser Weg-, Denkerfahrungen 2024 klangen ungerufen einige Zeilen von Dietrich Bonhoeffe in mein Ohr: “von guten Mächten wunderbar getragen und möchte ganz getrost erwarten, was erst noch kommen mag“. Der gestirnte Himmel grüßt. Sorry, ich greife voraus, allerdings werde ich diese „guten Mächte“ auch später nicht benennen können, denn sie sind nicht getrennt von mir und von dir. Non-dual eben. Sie bleiben wort- und begriffslos, freundlich wirksam.
Die sich selbst aufklärende Vernunft ließ mich fragen: “wer ist das, dem z.B. eine Erfahrung, ein Buch, Begegnungen, etc. widerfährt?“ Das war für mich nicht sonderlich befriedigend. Es folgte ein zweiter Schritt, unangemeldet, plötzlich: „was macht das mit mir, was ich gerade erlebe, lese, höre, schaue?“. Dieser zweite Schritt gehört zum ersten Teil meiner Ernte des Aufenthalts in Frankeich. Ein zweiter Teil der Denkschritte kam etliche Monate später beim Frühstück: „was mache ich mit dem Erlebten, Gelesenen?“ Erst damit kommt meine Selbstverantwortung zum Tragen. Im zweiten war ich noch Opfer, blieb passiv. Im dritten wurde ich mündig, zumindest mündiger. Damit öffnete ich den Zugang zu meinem „inneren Kontext“. Ich begriff beim morgendlichen Gang zum Frühstück: es gibt keine Wahrnehmung ohne den inneren Kontext. Für mich war dies der Königsweg zur Selbsterkenntnis, denn er ist das, was mich ausmacht: mein Kulturkreis, meine Bildung, meine Werte; allein er macht mich zum Subjekt und ermöglicht „Freiheit zu ...“, die meine Zukunft öffnet..
Menschen, die das lebensgerechte Klima zerstören, Kriegsverbrechen befehlen, eine Shoa planen, etc. sind keine Monster, sondern. Menschen wie Du und ích ---- und doch unterscheiden wir uns. Worin? All dies ist vernünftig aus der Sicht der Täter, drückt eine verengte Logik aus: „entweder ... oder...“ ;„Arier oder Nicht-Arier“, „schwarz oder weiß“. Die Trennung ist die Quelle autoritären Denkens. Sie verspricht Halt zu geben --freilich nur als Selbstbetrug. Tatsächlich ist es gefährlicher: Sie tun Böses, weil sie es für das Gute halten. Wie Eichmann. Ihr Gefühl, empathisches Verhalten bleibt unterdrückt. Ein verzerrtes Menschenbild wirkt wie ein giftiger Tropf: Böses wird Gutes; Unrecht wird Recht; Lüge wird Wahrheit; Putin bedeutet Frieden, Palästinenser sind Terroristen, je nach persönlicher Nützlichkeit. Die Frage nach Wahrheit ist obsolet geworden. So steht die Aufklärung unter Druck, auch das Völkerrecht, nicht erst in der Ukraine, auch in Israel und irrationale Parolen beherrschen -nicht nur in den USA. Medienmogule ergreifen unbehindert die Macht wie Musk.
Kant´s Loblied auf die Vernunft erhielt einen Dämpfer. Vernunft allein reicht nicht für ein gelingendes Leben des einzelnen Menschen sowie der Menschheit insgesamt, wenn die Frage nach dem Sinn fehlt, der Gutes vom Bösen unterscheiden kann und das kann keine Mehrheitsentscheidung sein.. Die Selbst-aufklärung der Vernunft ist gefordert. Konkret: es gibt Grenzen der Wissenschaft, nicht nur moralische. Die eine Wirklichkeit ist nur erfahrbar und zu respektieren, aus ihr heraus leben wir. Sie ist keine bloße Ansammlung von digitalen Daten des äußeren Kontextes, Der so ersonnene KI fehlt der innere Kontext; so ist sie eine Reduktion von Wirklichkeit, letztlich eine Scheinwelt. Selbst der „Innere Kontext““ plus der „äußere Kontext“ würde nicht reichen. Es gibt noch mehr, z.B. Freundlichkeit, Empathie, Neugier auf das Fremde, um auch mich zu verstehen. Ohne Empathie gelingt das nicht.
Die Komplexität der Wirklichkeit mit ihren Krisen führt zur Verunsicherung, auch Ängsten; da entlastet ein schlichtes Weltbild und das Bedürfnis einen Schuldigen zu suchen, damit man es nicht selbst ist; die unbedachte Folge ist die Abgabe von Verantwortung und der Verlust von Freiheit.
Beim Schlendern durch die alten Gassen in Arles begriff ich, dass wir Menschen zu oft bereit sind, Schritte mitzugehen, die mit jedem weiteren Schritt zu etwas Monströsem führen, wie Atombomben, Naturzer-störungen, Verschwörungsideologien; wie das Untergraben von Demokratie und Aufklärung, Missachtung von Wissenschaft .. alles, was niemand will. Verhalten wir doch wie Lemminge? Bevor bei mir dieser Gedankenfilm die Oberhand gewonnen hatten, kehrte ich auf die Terrasse eines netten Bistros ein und genoss Sonne, Menschen und einen Café Crème.
Lange hatte ich mich gefragt, wie kann es geschehen, dass die eigenen Werte so verraten werden. Auch Susan Sontag stellte sich angesichts der Grausam-keiten des Vietnamkrieges mit Napalmbomben, etc. diese Frage in Bezug auf die US-amerikanischen Werte. Ihre Antwort war niederschmetternd: „es war kein Verrat, genau das waren unsere Werte: herrschen, beherrschen, zur Not ausrotten wie die Indianer“; ich füge hinzu: „ohne den Blick in den bestirnten Himmel über uns“ zu wagen, wird das so geschehen. Allein dieser Blick ist der Kontext unseres Lebens.
Zwei weitere Einsichten stellten sich bei köstlicher Speise in Beaune ein: einmal mein innerer Kontext ist auch erfüllt von den Erfahrungen der Geborgenheit. Und dann erhellend: der innere und der äußere Kontext sind eines, sie gehören untrennbar zusammen. Der Prozess der Lebendigkeit ist das stete Pendeln von Innen nach Außen und zurück, vom Ausatmen zum Einatmen. Aus Enge zur Weite. Das bedeutet auch: der Tod gehört zum Leben wie das Lieben. Erst dann stimmt das Lied von Bonhoeffer, das er kurz vor seiner Hinrichtung schrieb, wenn es mein Lied ist, d.h. meine Macht, die mich gleichzeitig übersteigt und unverfügbar bleibt. In dem Moment ist die Dualität aufgelöst. Das Ego auch.
„Sei ein Mensch!“ rief Marcel Reif im Bundestag aus. Der Nachhall dieses Satzes fragt nach dem Sinn meines Tuns: „Was hat denn Sinn?“ Antwort eines Zen-Meisters: „Ein jedes Ding“, da musste ich lange schlucken bis ich verstehend lächeln konnte: „Ja, klar, was denn sonst?“
Die Bedeutung des „bestirnten Himmels über mir ...“ hat zwei „Vorfahren“ in den letzten Jahren: einmal in Gestalt der Bäume 2023 als Sinn-Erfahrung; davor das „Schauen ohne Begriff“ als Weitung des Bewusstseins-raumes. Alles ist ein Erkenntnisvermögen eines jedem Menschen.
Es wird mir mit jedem Spaziergang einsichtiger, welch ein Schatz an Schönheit dieses „Schauen ohne Begriff“ ist und wie sehr u.a. Philosophen um dieses Erleben analyseschwanger und -trunken herumeiern und es trotz oder wegen der Begriffe nicht zu entdecken vermögen. Die Schönheit, die ich liebe, soll das sein, was ich tue“ war ein morgentlicher Satz im Yoga unter blauem Himmel in Millau“.
Die Worte “Freiheit zu“ und „Schönheit“ tauchten nicht aus Versehen im Yoga auf. Den Moment und die Freude kann ich nicht festhalten, doch ist sie als Erfahrung wertvoll: ich habe sie selbst erlebt! Ein neues Ereignis, das Gefühle bewusst werden lässt, ist die wichtigste Erfahrung, die ein Mensch machen kann, z.B. wie mein Yogaerleben und der “bestirnte Himmel über mir“.. Dieses Erfahren ist durch sich selbst verwandelnd. Es ist unauslöschlicher Grund. Nicht herstellbar, nicht rational. In der östlichen Logik: „Es ist „weder ... noch ... und doch!“. Es ist offen.
Das Ergebnis der Trennung von Mensch und Natur wird heute sichtbar in der Klimakatastrophe. Das trennende Denken ist nicht gänzlich falsch; die Fortschritte der Naturwissenschaften haben viel Leid vermeiden können, hat uns befreit vom Aberglauben -auch wenn am Ende der ökologische Selbst-mord droht. Gleichzeitig ist es ein einschränkendes Denken, das zu einem schlichtes Menschenbild führt, in dem lebensrettende Zusammenhänge verloren gehen. Die wirklich größte Krise ist das Verdrängen von Wirklich-keiten, die das bloß Rationale überschreiten. Denken heißt überschreiten.
Ich war lange unzufrieden mit der Aufklärung, meinte sie zu ergänzen durch das Mitbedenken von Körper und Gefühl. Das ist nötig, doch bleibt es immer noch unzureichend, um von Aufklärung sprechen zu dürfen. Es fehlt die Aufhebung der Trennung. So verstehe ich, dass die kantsche Aufklärung noch immer nicht vollendet ist. Ganzheitliches Denken nannte ich den Weg,. Ich bin mir nicht sicher, ob die Tür zum Ausgang in die Mündigkeit noch offen ist. Oder ob sie, weil gefährlich, verschlossen ist. Habe ich den Mut an der Tür zu rütteln, indem ich die Öffnung wenigsten probiere? Auch darin liegt meine Würde als Mensch. Zu meinem in Frankreich gewachsenen Verständnis von Aufklärung gehört der Mut, offen zu sein, um berührt zu werden. Die Schülerseminare im Herbst ließen die Fragen nach dem Grund meines Selbstverständnisses erneut auftauchen. Ich war herausgefordert durch das franz. Gedenken an die Landung der Alliierten in der Normandie vor achtzig Jahren mit ca zehntausend Toten ( das war der D-Day; nicht die FDP) und der Widerstand vieler franz. Jugendlicher gegen die Nazis-besetzung. Was hätte ich getan?
Im Rückblick auf die Themen der Seminare für Zivildienstleistende seit 1983 fand ich eine Antwort auf meine Frage: „wie bin ich der geworden, der ich heute bin?“ Ich wollte wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Deshalb stellte ich die Themen wie Non-Dualität, Naturwissenschaft und Religion, Mystik , ... nicht ahnend, wohin mich das führen wird. Heute danke ich den Zivis in ihrer Offenheit, der Meditation, den Asienreisen. den Besuchen an den Gräbern der Résistancekämpfer. Das dabei erlebte Elend der Welt ist seither nicht weniger geworden Mich schaudert der Missbrauch von Jugendlichen in Heimen, Ferienlagern, im Elternhaus; die seelischen Wunden der Jugendlichen nicht nur in Gaza. Das Leid des äußeren Kontextes darf ich nicht ignorieren, weil ich in Frieden leben darf und satt werde; es schärft meine Achtsamkeit und ich entdecke meine Möglichkeiten zu helfen.
Rückblickend auf 2024 entdeckte, dass Aufklärung für mich schon länger ein unbewusst mutiger Gang an die Grenzen meines Denk-Weges war. Ich blieb lange stehen, tappte unschlüssig hin und her bis ich einen Spalt entdeckte: die neue Wirklichkeit ist weder neu noch woanders. Ich sah meinen Wunsch, meine Neugierde nach Überschreiten meiner Denkgrenzen: „Es gibt keinen Gott, alles ist viel größer!“ war damals - Okt.1992 - ein nicht zu begreifender Satz; erst in den letzten Jahren dämmerte mir die Bedeutung. Es war Vor-Kantisch. Die überraschend vielfältigen Erfahrungen seither in Frank-reich nahm ich lange nur zur Kenntnis -ohne die Frage zu stellen;: „was mache ich damit? “
Das hat sich grundlegend geändert, Dank auch der Schülerseminare, in denen ich weiter lernen konnte. Dabei hatte ich eine Haltung wiederentdeckt, die mir von meinem Vater in die Wiege gelegt worden war: „Lerne und kaufe die Bücher, die dazu taugen. Ich bezahle sie.“ Das geschah, maßvoll. Bis heute zehre ich von dieser grundgelegten Neugier: obwohl „Ich weiß, dass ich scheitern werde und will es doch wenigstens probieren“. Meine Art Wissenshunger wurde lange nicht gestillt, erst spät kam ich in die Nähe „was die Welt im Innersten zusammenhält“ Diesen Weg zu gehen war meine Aufgabe. Die Bundeswehr war kein Weg, Lehrer in der Schule ein für mich falscher, erst durch die selbstgesetzten Seminare fand ich Richtung und Nahrung. Mein Lebensweg war folgerichtig, doch nicht berechenbar. -- Könnte ich diesen Hunger nicht mehr stillen, würde es das Ende meines bislang sinnerfüllten Lebens bedeuten. Noch ist die Tafel gut gedeckt. Es waren bislang Hauptspeisen --oder doch schon der Nachtisch?
Mir wurde dabei bewusst wie wichtig das Menschenbild ist, dem ich folge, denn es gibt wenige Vor-stellungen, die so stark das Geschehen beeinflussen wie dieses Bild aus dem unbewussten inneren Kontext lässt mich die Welt anders sehen und so möglicherweise Tränen über ihr Leid nicht zulasse. Mit einem egoistischem Bild sehe ich überall Egoisten, Diebe. Die gibt es natürlich auch, anderes zu denken wäre naiv, doch ich potenziere ihre Zahl. Plötzlich sind alle Emigranten Abzocker, die abge-schoben gehören. Politisch ist die Erzeugung von Angst nützlich. Dagegen zeigen weltweit fast alle wissenschaftlichen Untersuchungen über das Verhalten von Menschen bei Katastrophen deutlich, dass altruistisches Verhalten überwiegt: beim Unter-gang der Titanic bis zu den Überschwemmungen in Spanien. Was wir voneinander annehmen, prägt unser Verhalten, nicht Rationalität. Das gilt auch für das christliche Menschenbild: sündig und schlecht, der Erlösung bedürftig. Placebo- und Noceboeffekt zeigen sehr klar, wie Vorannahmen wirken.
Der Mensch mit einem „Menschenbild der Verbunden-heit“ verdrängt das Leid nicht, sondern fragt als Teil der Welt „Wer bin ich als Flüchtender mit einer schmerzenden seelischen Verletzung im Verlust von Heimat; Eltern, von Freunden? Wer als Opfer von Fremdenfeindlichkeit und Gewalt? Von Krankheiten und Behinderungen?“ Weiß ich mich verbunden und suche ich meine Möglichkeiten? Ich bin vom Elend der Welt nicht getrennt, weil ich Teil dieser Welt bin. Das müsste mein Menschenbild sein; die Ideologie redet mir ein, der Erfolg sei nicht möglich, also probiere es erst gar nicht, das ist falsch.
Die Worte eines 17jährigen Widerstandskämpfers geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Er schrieb wenige Stunden vor seiner Hinrichtung am 15.Juli 1944 durch die Nazitruppe in einem Brief an seine Eltern: „ ... Für mich ist es nicht entscheidend, ob wir im Kampf Erfolg haben, wichtig ist, es wenigstens probiert zu haben.“
Der russ.Soldat, der einen 18jährigen schwer verletzten Deutschen über die Demarkationsline schleppt, um ihn deutschen Soldaten zu übergeben. dabei sein Leben gefährdet; die Ukrainerin, die dem schwerverletzten russ, Soldaten ihr Handy reicht mit den Worten.: „hier, ruf deine Mama an, damit sie weiß, dass du lebst.“ darin erkannte ich Menschlichkeit, die mich berührt, Tränen fließen ließ. Die Meditationsfrage: „was tue ich damit?“ hat so einen Platz im Leben; ihr Kern Verant-wortung, Lieben, Geistesgegenwart und Tun gilt ihr als Wert.
„Sei ein Mensch“ erweitere ich frei politisch-philosophisch durch Ernst Blochs Verheißung am Ende seines Werkes Prinzip Hoffnung: „Hat der Mensch sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allein in die Kindheit scheint und wo noch niemand war: ein Mensch in seiner Heimat.“ „Sei ein Mensch“ heißt Heimat finden.
So kann ich zum Ende des Jahres sagen: 2024 war für mich ein berührendes, lernreiches, also erfülltes Jahr – trotz Allem oder wegen Allem. Dieser 34.Jahresbrief wurde so auch zu einer Art Vermächtnis.
Selbst wenn wir den Wahnsinn in der Welt, das persönliche Elend und das Unterlaufen der Aufklärung des Rechtsstaates und der Demokratie nicht erfolgreich abschaffen können, so gilt für mich das Wort des 17jährigen Franzosen: „... es wenigstens probiert zu haben!“
Geht nur ein Jahr zu Ende oder gar eine Epoche; die Vielzahl gleichzeitiger Krisen weltweit sind Spiegel unserer Wirklichkeiten innen und außen. So mag Hölderlin uns ermutigen: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Mein 2024 wurde zu einem Hinweis auf das Rettende. Krisen weisen auf Wendepunkte: Tod oder Heilung. Das hängt von meinem Menschen- und Weltbild ab. Rilke rät: „Du musst dein Leben ändern!“
Das nun ablaufende Jahr war für mich ein Kant- und Lesejahr. Die ziemlich dicken Bücher gaben neue Impulse für mein Selbstverständnis. Mit Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ begann es und ließ mich fragen, welche Eigenschaften drücke ich selber aus und von welchen ahne ich nichts, welche verdränge ich? Über die Naivität mancher „Mitspieler“ im Buch musste ich lächeln, mitleidig. Der Antwort kam ich am Ende näher. Dabei öffnete mir Huizings „ Lebenslehre – eine Theologie für das 21.Jahrhunderts“ weitere Denkwege. Die Bezeichnung von Religion als eine Lebenslehre faszinierte mich, meine eh schon brüchige Gottesvorstellung wurde noch brüchiger und vielleicht deshalb fruchtbar, weil die Selbstverantwortung gefordert ist, die heiligen Schriften keine Wahrheiten verkünden, sondern Zeugnis ablegen, „was damals geglaubt wurde“. Kein Geschichtsbuch, ein Geschichtenbuch, kam mir wieder in Erinnerung. Es gibt eine Theologie vor und eine nach Kant.
Es folgte Thomas Mann „Josef und seine Brüder“. Ich konnte mich kaum sattlesen an den prächtigen Bildern, die er schilderte und die Fantasie blühen ließ; dem Krimi, die Tragik und das Selbstvertrauen von Josef. Ich versank förmlich in der verzaubernde Sprachmächtigkeit des Autors wie auch Jean Malaquais in „Planet ohne Visum“ über die vor den Nazis flüchtenden Menschen in Marseille und dem Internierungslager Les Milles bei Aix-en-Provence. Genau dort begann ich das mich erschütternde Buch über die Schicksale der vielen Flüchtenden zu lesen; viele scheiterten wie Walter Benjamin durch die Vichykollaborateure, die viele, auch jugendliche Widerstandskämpfer den Nazis auslieferten.
Nach der Erholung bei Roes „Melancholie des Reisens“ -in dem ich hilfreiche Reiseanregungen zum Verständnis des Reisens allgemein fand- wagte ich mich an die Kantlektüre. Es fühlte sich wie eine Neugeburt an; nach der Lektüre von Hegel hatte ich gesagt: Jungbrunnen. Selten waren Bücher so wirkmächtig bei mir. Nach der Rückkehr aus Frankreich war stand Eilensbergers „Geister der Gegen-wart“ auf der Leseliste. Die dort geschilderten Denkwege von drei Philosophen und einer Essayistin nach dem Ende des Zweiten Weltkriege ließ bei mir ein erhellendes Feuerwerk aufleuchten; unserer derzeitigen Krisensituation gleicht ihr in meiner Einschätzung. Geschichte wiederholt sich nicht und wenn doch, dann als Tragödie oder Komödie. Wenn es nicht so ernst wäre, fällt mir Trump sein.
Unsere Tragödie liegt darin, so scheint mir, dass wir immer noch nicht aus der Unmündigkeit heraus-getreten sind, zu der Kant uns ermutigte und aufforderte. Sapere aude ! Habe Mut Dich Deines Ver-standes zu bedienen. Der mangelhafte, zumindest eingeschränkte Gebrauch der Vernunft taucht auf, wenn ich an die deutliche Dringlichkeit in Sachen Klima denke, dazu die Ergebnisse der Wahlen zum Europaparlament und in drei Bundesländern und an die Art des Endes der Ampelkoalition; dann zweifle ich am Realitätsbezug der Verantwortlichen, zu denen auch der Wähler, die Wählerin gehört.
Noch nie hat das Verdrängen oder die Leugnung der Wirklichkeit geholfen; in Bezug auf den Klima-wandel steht das Schicksal einer menschenzuträglichen Welt auf dem Spiel, inkl. das der Klima-leugner. Die Tragödie kann eintreten, wenn ich in diesem Zusammenhang an Trump denke oder an die Verbrechen im Nahen Osten. Mangelnde Vernunft zeigt sich auch in der Autoindustrie. Seit vlt. dreißig Jahren ist bekannt, dass die Mobilität andere Lösungen erfordert als durch Privatautos mit Verbrennungsmotoren, SUVs. Seit ca. 1960 wissen die Ölkonzerne, dass das Verbrennen von fossilen Brennstoffen das Klima zerstört. Vernünftig wäre, anders zu denken, statt irrationale Ignoranz zu pflegen. Das Ergebnis zeigt sich heute in den Krisen von VW, Ford, Bosch, Thyssen-Krupp, etc.
Eine lineare Logik rechtfertigt Kriegsverbrechen, um Massaker zu rächen. Das ist böse. Das nicht nur in Gaza auftretende Dilemma (Hamas mit Bomben und Raketen zu bekämpfen ohne Krankenhäuser zu zerstören und Verhungern als Kollateralschaden zu verharmlosen ) zeigt bei Gebrauch der Vernunft, dass kein Militäreinsatz die Lösung sein kann. Vernunft erfordert Fantasie, das Gespräch, keine Ideologie von Großisrael. Ich bin Baerbock dankbar, dass sie das Völkerrecht deutlich über Nationalinteressen stellt. Den Vorrang von Recht und Gesetz lernte ich durch Kant in Bezug auf Nahost noch deutlicher schätzen Das scheint den Befürwortern der Kernenergie auch in Frankreich nicht klar zu sein, wenn sie einer Energieerzeugung anhängen, die die teuerste ist, selbst wenn die Kosten der Endlagerung unberücksichtigt bleiben. Das ist irrational.
Maren Urners Buch „Radikal emotional“ ergänzte und aktualisierte meine Beschäftigung mit Kant. Vernunft ist nicht alles, doch ohne Vernunft ist alles nichts. Die „Geister der Gegenwart“ warnten: die Vernunft selbst ist nicht nur vernünftig. Die Vernunft der Aufklärung muss auch eine Aufklärung der Vernunft sein. „Freiheit zu ..“ bedeutet Leben, das sich ausdehnt und wächst; es gleicht damit dem Bewusstsein. Wenn ich in meinen Meditationsraum sitze (kann auch ein anderer Raum sein), sehe ich zunächst nur beengende Wände und gleichzeitig durchdringt mich ein Ahnen: jenseits der Wände ist Weite.
„Sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“ wurde deutlicher als je für mich zum guten Maßstab meiner Betrachtungen des Weltgeschehens; dabei setze ich Verstand nicht mit Wissen gleich, er bedeutet für mich die Zusammenhänge in einer vernetzt zu denkenden Welt zu erkennen. Was wir heute Vernunft nennen, hieß bei den alten Griechen „nous“, was so viel wie „Ahnung“ ausdrückt – ich glaube nach diesem Jahr: mehr als Ahnen ist dabei nicht möglich und nicht nötig. Ahnen ist nicht „spinnen“, sondern „sich berühren lassen“ wie etwa von einem Gedicht.
Die Erinnerung an den 3oo.Geburtstag Immanuel Kants begleitete mich und mein Denken das ganze Jahr. Die Aktualität seiner Definition der Aufklärung durchzog etliche Seminare, vor allem aktualisierte es mein Selbstverständnis, denn die Beschäftigung mit ihm gehört zur Arbeitsplatzbeschreibung meines Lebens, stellte ich am Ende fest, den Anstoß fand ich in der „Theologie des 21.Jhs.“
„Aufklärung ist der Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unver-mögen sich seines Verstandes ohne eine Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist sie, wenn die Ursache nicht am Mangel des Verstandes beruht, sondern am mangelnden Mut. Sapere aude: habe Mut Dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ Mehr ist nicht zu sagen, wäre es mit der Aufklärung alles OK.
Wir sind heute Zeugen der Zerstörung und Selbstzerstörung der Aufklärung, indem wir gegen unser Wissen die Ausbeutung der Natur zulassen und somit unsere Lebensgrundlage vernichten; indem wir Wälder abholzen, Pflanzen und Böden vergiften; indem wir Waffen bauen, die zu einer planetarischen Selbstauslöschung führen können; zulassen, dass sich die Schere zwischen arm und reich weiter öffnet; den jungen Menschen muteten wir die seelischen Schädigungen nicht nur durch „social media“ und Cybermobbing zu, auch Kriege, den Tod der Eltern, Freunde; und machten sie heimatlos. Die Liste ist lang, zu lang.
„Der Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ ist Auftrag; die Antwort fällt nicht vom Himmel. Es ist Arbeit. Der Faschismus lehrt uns, dass die unaufgeklärte Vernunft zur instrumentellen Vernunft wird, die Auschwitz möglich machte und andere Gruseligkeiten. Mit der Zerstörung der Aufklärung geraten wir tiefer hinein in die Unmündigkeit und verlieren so Demokratie und unsere Freiheit. Die Freiheit in der Gesellschaft ist unabtrennbar vom aufklärerischen Denken. Ich fürchte, keine KI kann aufklärerisches Denken leisten und für uns Freiheit bewahren. Nicht aus Versehen las ich angesichts der Ruinen der röm. Arena in Arles bei Ortega y Gasset: “Je tiefer und elementarer ein Bestandteil unserer Überzeugungen ist (hier: Freiheit, Demokratie, W.B.), desto weniger kümmern wir uns um ihn und strenggenommen, nehmen wir ihn nicht einmal wahr.“ So ist Demokratie und Freiheit seinen Gegnern ausgeliefert, wie auch die Aufklärung. Das ist gefährlich.
Ist Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ nur eine schöne Absicht? Wie die Verbindlichkeit des Völkerrechts? Das von Hegel geforderte reale Tun ist der Krieg gegen die Ukraine; das Verbot der UN-Palästinenserhilfe durch Israel; es stoppt die Lebensmittelversorgung, die Gesundheitshilfe, das Krankenhauswesen in Gaza. Ein Verbrechen besonderer Art. Wie auch die halbherzige Klimapolitik. Der Klimaforscher Mojib Latif wirft der Weltpolitik Realitätsverweigerung vor. Das 1,5-Grad-Ziel ist de facto gerissen. Gegenwärtig steuert die Welt auf eine Erwärmung um etwa drei Grad zu, selbst wenn alle beschlossenen Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden sollten, die Erwärmung ist bereits heute für viele Menschen ein Grund zum notwendenden Fliehen. Sie haben Hunger. Schon jetzt gibt es eine halbe Million Klimatote. Rührt und das? Der UN-Klimagipfel COP 29 in Baku ist nicht ges-cheitert, doch das Ergebnis ist Betrug an den armen Ländern und für uns ein Selbstbetrug
Die Überschwemmungen in diesem Jahr in Bayern, Österreich, Tschechei, Polen, Frankreich, Griechenland, im Oktober/November in Spanien mit fast 250 Toten, etc. weisen darauf hin: es geht nicht um das Klima, sondern um das Leben von Menschen. Oder nehmen wir die Toten in Kauf, so-fern es die Anderen sind? Wie im Nahen Osten? Die Wähler nicht nur der AfD verdrängten oder verstehen nicht, dass es um ihr eigenes Leben in einem menschentauglichen Klima geht. Dieses Unverständnis über das Ziel zeigte sich in der manipulierten Diskussion um das Heizungs-gesetz. Wer einen Schuldigen sucht, findet einen, doch jeder andere als der Suchende selbst, ist der Falsche. Hart, doch zutreffend war eine whatsapp, die ich bekam: „der Dumme sucht einen Schuldigen, der Intelligente eine Lösung.“ Die FDP und wie mir scheint, auch die CDU sucht keine Lösung, wenn sie Klimagesetze bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Empörung suggerierende Erzählungen erhalten Gewicht, nicht aber Fakten. Das ist Teil unserer Krise.
Wir müssen erkennen, dass wir Teil des Problems sind, nicht Teil der Lösung -das sollten wir aber als vernunftbegabte Bürger verstehen. Deshalb gehören zu meinem Verständnis von Aufklärung diese Fragen. „was kann ich wissen? Was kann ich hoffen? „was soll ich tun?“ - von Kant zusammen-gefasst als: „Was ist der Mensch?“ Seit Beginn der Philosophie zielt sie auf das Nachdenken, was denn ein „richtiges Leben“ sei. Das ist bei weitem nicht nur subjektiv, denn der Mensch ist immer politisch und sozial. Adorno´s Antwort war negativ. In Frankreich reifte in mir eine positive.
Mephistopheles beschreibt sich in Goethes Faust: „Ich bin Teil der Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ Trifft für uns Menschen die Umkehrung zu: „wir sind Teil der Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“ ? Zu oft neige ich dieser Umkehrung zu. Innerlich hoffe ich, dass Hobbes gegen Rousseau verliert.
Über das alles Mitgefühl übersteigende Geschehen im Gazastreifen, im Libanon, im Sudan, etc. wollte ich schweigen, weil es mir das Herz zerreißt. Durch die erschütternden Bilder zeigt sich mir wie aus Unrecht, Angst, Macht (inkl., Ohnmacht), geduldete Verbrechen, Missachtung von Menschenwürde und Menschenrechten ein Ungeheurer entsteht, das kaum zu bändigen ist und immer nach neuen, auch unschuldigen Opfern verlangt. Der explodierende Pager zerfetzt Säuglinge, Kinder, Alte, sicher auch Hisbollahkämpfer. Was dazu der Vorsitzende der dtsch-jüd. Gesellschaft Volker Beck zu Proto-koll gab, machte mich fassungslos: „Das ist ein Grund zum Feiern.“ Das heißt: wenn „die Anderen“ sterben ,ist es egal oder gar gut.
Mich erschreckt, dass auch das Verhungern von Menschen als „sinnvolle“ Kriegswaffe und eine Sippenhaft fungieren darf, dass kannte ich nur von den Nazis. In den Vertreibungen von Millionen Menschen im Nahen Osten werden diese Menschen zu Dingen, Objekten. Das verwirft die Aufklärung eindeutig: niemals darf der Mensch allein zu einem Mittel werden, immer ist er ein Wert an und für sich. Die Vertreibungen aus Gaza gleichen einer ethnischen Säuberung. Mich erschreckt die Sprache, die das Töten oder Morden von Menschen als „Eliminierung“ „Liquidierung oder „Beseitigung“ ver-harmlost. Das klingt schlimm, weil es schlimm ist. „Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte, achte auf deine Worte; denn sie werden zu deiner Gewohnheit, sie machen später deinen Charakter aus“ heißt es im Talmud.
Als Lehre aus der Barbarei des Nationalsozialismus gab Adorno eine noch heute gültige Mahnung, die auf das alles entschuldigende Mitmachen nicht nur seiner professoralen Kollegen zielte, sondern auch das stillschweigende Akzeptieren der Unmenschlichkeit: „es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Meiner Philosophie geht es um ein richtiges, also gelingendes Leben für alle; Leben ist immer sozial, schon seit der Zeugung; erst ein solches Leben wird dem Menschen zu einer Heimat.
Die Welt ist weder linear noch einfach und nicht dual, sie geschieht als komplexer vernetzter Prozess; sie lebt ausschließlich in gegenseitiger Abhängigkeit aller Phänomene. Das fordert eine neue Antwort auf Kant´s Frage „Wer bin ich?“: nämlich konkret „ich bin das, was mich konkret ausmacht, mein innerer Kontext.“ Das von der israelischen Regierung geforderten Absehen des Kontextes, ja dessen Verteufelung Anbetracht des Massakers der Hamas wirft Fragen auf. Das Berücksichtigen des Kontextes ist kein Antisemitismus, auch nicht die begründete Ausstellung eines Haftbefehls, wenn Verbrechen vorliegen. Der Kontext ist Voraussetzung des Verstehens und damit ein Tor zur Lösung eines Problems. Verstehen ist nicht Verzeihen. Ohne Verstehen des Kontextes verpasse ich den Grund meines Lebens, verpasse ich mich als Mensch. Das kommt vor. Nicht einmal in der Ver-drängung können wir diesem äußeren Kontext entkommen. Er ist die Welt „draußen“. Schicksal?
Nach der Wahl Trumps zum US-Präsidenten bleibt nur Fassungslosigkeit. Sein „Kompetenzteam“ ist ein Horrorkabinett. Gleichgültigkeit, Flucht in die Ironie oder den Sarkasmus vor dieser Wirklichkeit hilft nicht. Das Jammern ist toxisch und wirkt auf mich toxisch. Es zu ignorieren ist fatal. Mit meiner Ohn-macht an dieser Stelle muss ich leben und hier aufpassen, dass das aus den USA zu uns nicht über-schwappt.
Die Gefährdung der Demokratie wird nicht mit einem Putsch geschehen, sondern durch ein sanftes Aushöhlen von Innen. Dieses Aushöhlen geschieht auch dadurch, dass die Agenda der Rechten von (noch) demokratischen Parteien übernommen wird, „um so den Rechten Stimmen wegzunehmen“ wie es entschuldigend gesagt wird; doch das ist nie eingetreten. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, auch nicht in einer Koalition, wo einer der Beteiligten sowohl Regierung wie Opposition spielt. Solch Politikverständnis stärkt die Unglaubwürdigkeit der Politik und trägt damit zum Niedergang der Demo-kratie bei. Das hilft der AfD. Politische Beobachter bekunden, dass die FDP von heute Kompromiss-unfähig ist, d.h. es fehlt in der Führung der Partei an einem wirklichen Demokratieverständnis. Ein böser Vorwurf. Die ehem. Freiheitspartei wandelte sich zum Klientelverein. Vorwurf? Nein Faktum.
Aufklärung fordert den permanenten Kampf gegen Ignoranz und für logisches Denken, Reflektion, also Kritik auch sich selbst gegenüber; sie fordert Unterscheidung zwischen Meinungen, Ideologie und faktengebundenen Aussagen. Sie wendet sich an den Menschen, dem Kant Vernunft zumutet und daraus seine Würde ableitet. Soweit der erste Anstoß von Kant auf mich.
Der zweite Anstoß ergänzte das erste Verständnis von Aufklärung und wurde grundlegend in meinem Selbst- und Weltverständnis als Erfahrung: „Zwei Dinge erfüllen mein Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“ In einem Anflug von Leichtsinnigkeit in einem Meditationsseminar in Bayreuth verdeutlichte ich im gleichen Atemzug den Ausspruch von Kant: das moralische Gesetz bedeutet für mich schlicht und einfach: „hab mich lieb“ --- wobei damit Mensch und Tier und Baum, d.h. die Erde gemeint ist. Ich selbst war von dieser Aussage fast peinlich überrascht, doch je mehr ich darüber nachdachte, desto schlüssiger kam es mir vor. Bis heute.
Zunächst der „bestirnte Himmel über mir“: angesichts der unendlichen Weite wird mir bewusst, wie winzig ich bin, es keinen Grund gibt sich aufzuplustern, ja. ich bin fast ein Nichts. Aber nur fast: denn ich habe menschliche Fähigkeiten wie die Kraft der Imagination, Reflexionsvermögen, weiß um meinen Tod, kenne Lieben und kann mir dessen bewusst sein. Mit den Sternen findet nicht nur die Weite in mein Herz, sondern eine Art unendlicher Zeit, also eine Ahnung von Zeitlosigkeit. Ewigkeit?
Und da kommt das moralische Gesetz ins Bewusstsein, in der mir verständlichen Aussage: „hab mich lieb.“ Diese Liebe kennt keine Grenze, keine Auswahl, gar Selektion; sie umfasst alles und jedes, steht mir jederzeit zur Verfügung, denn sie ist nicht nur mein unveräußerlicher Kern, sondern auch der der Wirklichkeit. Eine handhabbare, nachvollziehbare „herzliche“ Ethik. Diese Herausforderung ist es noch lange keine alltägliche Realität von mir. es gibt noch viel zu tun. Denn: die Wahrheit der Absicht ist das Tun, fordert Hegel.
„Hab mich lieb“ ist dabei kein so nebenher zu sagender Satz, das wäre Kitsch; er muss aus dem Herzen kommen, soll er echt sein; in Frankreich fiel mir dazu ein hilfreiches Verhalten ein, das diesen Vorgang ins helle Licht bringt: Verweiltherapie. Mephisto in Goethes Faust hat nicht Recht, wenn er prophezeit: „wenn Du zum Augenblick sagst: „verweile doch, Du bist so schön“ ist deine Seele des Teufels.“ Ganz im Gegenteil: ich erlebte eine weite, offenere Wirklichkeit, die mich überschritt. Es war eine Ahnung von „Unruhe von Transzendenz“. Weite, Offenheit. Nicht dauernd. Nicht verfügbar.
Damals unreflektiert fand ich im Tagebuch über meine erste Trekkingtour in Nepal eine Aufzeichnung ähnlichen Inhalts. Auf ca. 2800 m Höhe blickte ich in tief-dunkler Nacht in den Himmel, die Sterne über mir schienen greifbar nahe; ich musste mich an einem Felsen festhalten, um nicht das Gleichgewicht bei schlotternden Knien zu verlieren; mein Körper begann so heftig zu zittern wie ich es nie zuvor erlebt habe. Ich schrieb in der Tagebuchnotiz „mir geht es sehr gut, körperlich nach dem Essen wieder top, doch von heftigstem Schüttel-frost überfallen“. Auf allen Vieren kroch ich in mein Zelt und schlief zitternd und gerüttelt darüber ein. Am nächsten Morgen dachte ich nicht mehr an den „Schüttelfrost“, doch erschien mir die Welt freundlich-mich-umfassend, liebender als in den Tagen zuvor. In mir war ein Grundgefühl des Selbstvertrauens gelegt: „mir kann nichts passieren“. Erst Kant erinnerte mich jetzt wieder an dieses Erleben, an dem ich achtlos -glücklos- vorbei gegangen war.
Vier Tage später überfiel mich die Höhenkrankheit mit schmerzhaften Wahnvorstellungen; noch einmal eine gute Woche später verirrte ich mich beim steilen Abstieg durch pfadloses Unterholz des Himalaya. Jeder Bänderriss hätte meinen Tod bedeuten können, niemand wäre je vorbeigekommen. Aus heutiger Sicht war ich dumm und naiv. Waren es gute Mächte, gute Kräfte, die mich bargen?
Ob ich das alles ohne „hab mich lieb“ geschafft hätte, weiß ich nicht. „Der bestirnte Himmel über mir ...“ ist eine sinnstiftende Erfahrung aus der Stille, wenn sie erwartungslos geschieht. Das wusste schon Pythagoras. Mir scheint am Ende dieses Jahres, das dieses Erleben Grundlage von Lieben, Weite und Zugehörigkeit ist und damit die Forderung erfüllt: sei ein Mensch als Teil dieses Uni-versums! Sei realistisch. Radikal. Ich muss zugeben, dass ich dies nicht bis zum Ende zu durch-denken wage, dazu reicht wahrscheinlich mein Denkvermögen nicht, realistischer ist wohl die Angst vor den Konsequenzen. Vorläufig reichen mir Ahnungen. Und das Schweigen, wie es diie Meditation wohl nicht ohne Grund fordert.
Weniger spektakulär waren auf meiner Frankreichreise im Mai/Juni die Wahrnehmungen der Welt als „vertraute Heimat“, die mir Sicherheit gibt und „ich gehöre dazu“: seien es alte Häuser, brüchige Fassaden, Parks, Menschen, Plätze, eine Kirche ... etwa in Aurillac, in Apt, früher in Paris. Diese Aufenthalte waren Geh-Meditationen, ohne sie so zu benennen, ein Flanieren mit einem empathischen Blick. Vielleicht würde „Pilgern“ besser passen, nur wartete am Ende kein fremdes Grab, letztlich nur das eigene. Bis dahin gibt es kein Ende, nur beseligende Verbundenheit; ich war angekommen und blieb Entdecker. Es war eine wortlose Schulung im Verzicht auf Erklärungen, Analysen. In Laufe der Aufenthalte in Frankreich begriff ich: ja, ich war in Aix, in Paris, in Cannes angekommen; angekommen in Marseille bei den Flüchtlingen, in der Theologie des 21.Jh., dahin, wo ich bin: bei mir als Wanderer. Pilger. Nicht unversehrt. Oft ernüchtert.
Verweilen können ist in dieser Zeit der zunehmenden Geschwindigkeit eine kaum zu leistende Disziplin. Auch das bedarf der Übung, sonst gehe ich an Erfahrungen achtlos vorbei, an denen ich hätte wachsen können. Geistesgegenwart. Das ist Meditation: das Üben von Geistesgegenwart.
Der Blick in den bestirnten Himmel berührte mich jedes Mal, doch es war noch dual gedacht. Das Gegenteil -Jaspers nennt es das Umfassende- ist Vielfalt, kein Einheitsbrei, ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten. Das ist nur lebensfähig als Liebe. In Aurillac entdeckte ich lesend, dass die Ent-wicklung vom Neandertaler zum homo sapiens auf der Entfaltung von Intelligenz beruht, tiefer geschaut: auf Freundlichkeit als ein Aspekt der der Liebe. Dies kommt mir im Nachhinein bekannt vor. Im Buddhismus, in der gelebten Meditation: Lieben ist unser Grund und auch Trauer eine Form des Liebens.
Die wirkmächtigen Philosophen, die nach dem Krieg nach Europa zurückkehrten, hatten ein Ziel: „nie mehr ein menschenverachtendes Regime!“ Nie mehr. Adornos Weg hieß: „Mut zur Mündigkeit“ als Grund einer Demokratie in Freiheit. Unausgesprochen heißt das: Sei ein Mensch. Es ist bitter, dass diese Frage immer noch aktuell ist, wenn ich an die wachsende Fremden- und Emigrantenfeindlichkeit denke. Da fehlt alle Freundlichkeit und ein Schamgefühl, das nur der Mensch kennt.
„Sei ein Mensch“ klingt gut, klingt wahr, klingt nach Aufforderung, denn der massiv durch Medien vermittelte Alltag sieht anders aus: Attentate, Morde, Gewalt selbst von Kindern. Wer tiefer schaut erkennt allerdings: wir sind damit unserer eigenen Natur entfremdet, dem Nachbarn, dem Flüchtling: ökologisch, sozial, politisch. So ging uns unser Grund verloren.
Zur Antwort auf die Frage Kants „Was ist der Mensch?“ gehören auch die Strukturen der gefährdeten Demokratie und der Rechtstaats, ein marodes Schulsystem, das anscheinend nicht in der Lage ist, Werte zu vermitteln. Menschenfeindliche Strukturen fallen nicht vom Himmel, sie sind gewollt, von Menschen, die vlt. selbst entfremdet sind. Selbst irrational ist der Ruf nach mehr Rationalität wie der Umgang mit den Ursachen der Klimakatastrophe uns jeden Tag neu und dringlicher vor Auge führt.
Der sich darin zeigende Kampf gegen die Natur ist ein Kampf gegen das Leben und damit gegen das Lieben. Der Ursprung dieses Denkens liegt weiter zurück als Platon, vlt. mit dem Beginn der Acker-baukultur. Die forderte Zusammenarbeit und Freundlichkeit. Bei indigenen Völkern war das Verhältnis Mensch-Natur ein spirituelles, eine spirituelle Einheit allen Lebens. Die Aufforderung „Sei ein Mensch!“ hätte wohl eher geheißen: „Sei lebendig!“ Diese Haltung haben wir verloren, scheint mir, vlt. noch nicht unwiederbringlich, hoffe ich. Wann und wie bin ich wirklich lebendig?
Trotz oder wegen all dieser Weg-, Denkerfahrungen 2024 klangen ungerufen einige Zeilen von Dietrich Bonhoeffe in mein Ohr: “von guten Mächten wunderbar getragen und möchte ganz getrost erwarten, was erst noch kommen mag“. Der gestirnte Himmel grüßt. Sorry, ich greife voraus, allerdings werde ich diese „guten Mächte“ auch später nicht benennen können, denn sie sind nicht getrennt von mir und von dir. Non-dual eben. Sie bleiben wort- und begriffslos, freundlich wirksam.
Die sich selbst aufklärende Vernunft ließ mich fragen: “wer ist das, dem z.B. eine Erfahrung, ein Buch, Begegnungen, etc. widerfährt?“ Das war für mich nicht sonderlich befriedigend. Es folgte ein zweiter Schritt, unangemeldet, plötzlich: „was macht das mit mir, was ich gerade erlebe, lese, höre, schaue?“. Dieser zweite Schritt gehört zum ersten Teil meiner Ernte des Aufenthalts in Frankeich. Ein zweiter Teil der Denkschritte kam etliche Monate später beim Frühstück: „was mache ich mit dem Erlebten, Gelesenen?“ Erst damit kommt meine Selbstverantwortung zum Tragen. Im zweiten war ich noch Opfer, blieb passiv. Im dritten wurde ich mündig, zumindest mündiger. Damit öffnete ich den Zugang zu meinem „inneren Kontext“. Ich begriff beim morgendlichen Gang zum Frühstück: es gibt keine Wahrnehmung ohne den inneren Kontext. Für mich war dies der Königsweg zur Selbsterkenntnis, denn er ist das, was mich ausmacht: mein Kulturkreis, meine Bildung, meine Werte; allein er macht mich zum Subjekt und ermöglicht „Freiheit zu ...“, die meine Zukunft öffnet..
Menschen, die das lebensgerechte Klima zerstören, Kriegsverbrechen befehlen, eine Shoa planen, etc. sind keine Monster, sondern. Menschen wie Du und ích ---- und doch unterscheiden wir uns. Worin? All dies ist vernünftig aus der Sicht der Täter, drückt eine verengte Logik aus: „entweder ... oder...“ ;„Arier oder Nicht-Arier“, „schwarz oder weiß“. Die Trennung ist die Quelle autoritären Denkens. Sie verspricht Halt zu geben --freilich nur als Selbstbetrug. Tatsächlich ist es gefährlicher: Sie tun Böses, weil sie es für das Gute halten. Wie Eichmann. Ihr Gefühl, empathisches Verhalten bleibt unterdrückt. Ein verzerrtes Menschenbild wirkt wie ein giftiger Tropf: Böses wird Gutes; Unrecht wird Recht; Lüge wird Wahrheit; Putin bedeutet Frieden, Palästinenser sind Terroristen, je nach persönlicher Nützlichkeit. Die Frage nach Wahrheit ist obsolet geworden. So steht die Aufklärung unter Druck, auch das Völkerrecht, nicht erst in der Ukraine, auch in Israel und irrationale Parolen beherrschen -nicht nur in den USA. Medienmogule ergreifen unbehindert die Macht wie Musk.
Kant´s Loblied auf die Vernunft erhielt einen Dämpfer. Vernunft allein reicht nicht für ein gelingendes Leben des einzelnen Menschen sowie der Menschheit insgesamt, wenn die Frage nach dem Sinn fehlt, der Gutes vom Bösen unterscheiden kann und das kann keine Mehrheitsentscheidung sein.. Die Selbst-aufklärung der Vernunft ist gefordert. Konkret: es gibt Grenzen der Wissenschaft, nicht nur moralische. Die eine Wirklichkeit ist nur erfahrbar und zu respektieren, aus ihr heraus leben wir. Sie ist keine bloße Ansammlung von digitalen Daten des äußeren Kontextes, Der so ersonnene KI fehlt der innere Kontext; so ist sie eine Reduktion von Wirklichkeit, letztlich eine Scheinwelt. Selbst der „Innere Kontext““ plus der „äußere Kontext“ würde nicht reichen. Es gibt noch mehr, z.B. Freundlichkeit, Empathie, Neugier auf das Fremde, um auch mich zu verstehen. Ohne Empathie gelingt das nicht.
Die Komplexität der Wirklichkeit mit ihren Krisen führt zur Verunsicherung, auch Ängsten; da entlastet ein schlichtes Weltbild und das Bedürfnis einen Schuldigen zu suchen, damit man es nicht selbst ist; die unbedachte Folge ist die Abgabe von Verantwortung und der Verlust von Freiheit.
Beim Schlendern durch die alten Gassen in Arles begriff ich, dass wir Menschen zu oft bereit sind, Schritte mitzugehen, die mit jedem weiteren Schritt zu etwas Monströsem führen, wie Atombomben, Naturzer-störungen, Verschwörungsideologien; wie das Untergraben von Demokratie und Aufklärung, Missachtung von Wissenschaft .. alles, was niemand will. Verhalten wir doch wie Lemminge? Bevor bei mir dieser Gedankenfilm die Oberhand gewonnen hatten, kehrte ich auf die Terrasse eines netten Bistros ein und genoss Sonne, Menschen und einen Café Crème.
Lange hatte ich mich gefragt, wie kann es geschehen, dass die eigenen Werte so verraten werden. Auch Susan Sontag stellte sich angesichts der Grausam-keiten des Vietnamkrieges mit Napalmbomben, etc. diese Frage in Bezug auf die US-amerikanischen Werte. Ihre Antwort war niederschmetternd: „es war kein Verrat, genau das waren unsere Werte: herrschen, beherrschen, zur Not ausrotten wie die Indianer“; ich füge hinzu: „ohne den Blick in den bestirnten Himmel über uns“ zu wagen, wird das so geschehen. Allein dieser Blick ist der Kontext unseres Lebens.
Zwei weitere Einsichten stellten sich bei köstlicher Speise in Beaune ein: einmal mein innerer Kontext ist auch erfüllt von den Erfahrungen der Geborgenheit. Und dann erhellend: der innere und der äußere Kontext sind eines, sie gehören untrennbar zusammen. Der Prozess der Lebendigkeit ist das stete Pendeln von Innen nach Außen und zurück, vom Ausatmen zum Einatmen. Aus Enge zur Weite. Das bedeutet auch: der Tod gehört zum Leben wie das Lieben. Erst dann stimmt das Lied von Bonhoeffer, das er kurz vor seiner Hinrichtung schrieb, wenn es mein Lied ist, d.h. meine Macht, die mich gleichzeitig übersteigt und unverfügbar bleibt. In dem Moment ist die Dualität aufgelöst. Das Ego auch.
„Sei ein Mensch!“ rief Marcel Reif im Bundestag aus. Der Nachhall dieses Satzes fragt nach dem Sinn meines Tuns: „Was hat denn Sinn?“ Antwort eines Zen-Meisters: „Ein jedes Ding“, da musste ich lange schlucken bis ich verstehend lächeln konnte: „Ja, klar, was denn sonst?“
Die Bedeutung des „bestirnten Himmels über mir ...“ hat zwei „Vorfahren“ in den letzten Jahren: einmal in Gestalt der Bäume 2023 als Sinn-Erfahrung; davor das „Schauen ohne Begriff“ als Weitung des Bewusstseins-raumes. Alles ist ein Erkenntnisvermögen eines jedem Menschen.
Es wird mir mit jedem Spaziergang einsichtiger, welch ein Schatz an Schönheit dieses „Schauen ohne Begriff“ ist und wie sehr u.a. Philosophen um dieses Erleben analyseschwanger und -trunken herumeiern und es trotz oder wegen der Begriffe nicht zu entdecken vermögen. Die Schönheit, die ich liebe, soll das sein, was ich tue“ war ein morgentlicher Satz im Yoga unter blauem Himmel in Millau“.
Die Worte “Freiheit zu“ und „Schönheit“ tauchten nicht aus Versehen im Yoga auf. Den Moment und die Freude kann ich nicht festhalten, doch ist sie als Erfahrung wertvoll: ich habe sie selbst erlebt! Ein neues Ereignis, das Gefühle bewusst werden lässt, ist die wichtigste Erfahrung, die ein Mensch machen kann, z.B. wie mein Yogaerleben und der “bestirnte Himmel über mir“.. Dieses Erfahren ist durch sich selbst verwandelnd. Es ist unauslöschlicher Grund. Nicht herstellbar, nicht rational. In der östlichen Logik: „Es ist „weder ... noch ... und doch!“. Es ist offen.
Das Ergebnis der Trennung von Mensch und Natur wird heute sichtbar in der Klimakatastrophe. Das trennende Denken ist nicht gänzlich falsch; die Fortschritte der Naturwissenschaften haben viel Leid vermeiden können, hat uns befreit vom Aberglauben -auch wenn am Ende der ökologische Selbst-mord droht. Gleichzeitig ist es ein einschränkendes Denken, das zu einem schlichtes Menschenbild führt, in dem lebensrettende Zusammenhänge verloren gehen. Die wirklich größte Krise ist das Verdrängen von Wirklich-keiten, die das bloß Rationale überschreiten. Denken heißt überschreiten.
Ich war lange unzufrieden mit der Aufklärung, meinte sie zu ergänzen durch das Mitbedenken von Körper und Gefühl. Das ist nötig, doch bleibt es immer noch unzureichend, um von Aufklärung sprechen zu dürfen. Es fehlt die Aufhebung der Trennung. So verstehe ich, dass die kantsche Aufklärung noch immer nicht vollendet ist. Ganzheitliches Denken nannte ich den Weg,. Ich bin mir nicht sicher, ob die Tür zum Ausgang in die Mündigkeit noch offen ist. Oder ob sie, weil gefährlich, verschlossen ist. Habe ich den Mut an der Tür zu rütteln, indem ich die Öffnung wenigsten probiere? Auch darin liegt meine Würde als Mensch. Zu meinem in Frankreich gewachsenen Verständnis von Aufklärung gehört der Mut, offen zu sein, um berührt zu werden. Die Schülerseminare im Herbst ließen die Fragen nach dem Grund meines Selbstverständnisses erneut auftauchen. Ich war herausgefordert durch das franz. Gedenken an die Landung der Alliierten in der Normandie vor achtzig Jahren mit ca zehntausend Toten ( das war der D-Day; nicht die FDP) und der Widerstand vieler franz. Jugendlicher gegen die Nazis-besetzung. Was hätte ich getan?
Im Rückblick auf die Themen der Seminare für Zivildienstleistende seit 1983 fand ich eine Antwort auf meine Frage: „wie bin ich der geworden, der ich heute bin?“ Ich wollte wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Deshalb stellte ich die Themen wie Non-Dualität, Naturwissenschaft und Religion, Mystik , ... nicht ahnend, wohin mich das führen wird. Heute danke ich den Zivis in ihrer Offenheit, der Meditation, den Asienreisen. den Besuchen an den Gräbern der Résistancekämpfer. Das dabei erlebte Elend der Welt ist seither nicht weniger geworden Mich schaudert der Missbrauch von Jugendlichen in Heimen, Ferienlagern, im Elternhaus; die seelischen Wunden der Jugendlichen nicht nur in Gaza. Das Leid des äußeren Kontextes darf ich nicht ignorieren, weil ich in Frieden leben darf und satt werde; es schärft meine Achtsamkeit und ich entdecke meine Möglichkeiten zu helfen.
Rückblickend auf 2024 entdeckte, dass Aufklärung für mich schon länger ein unbewusst mutiger Gang an die Grenzen meines Denk-Weges war. Ich blieb lange stehen, tappte unschlüssig hin und her bis ich einen Spalt entdeckte: die neue Wirklichkeit ist weder neu noch woanders. Ich sah meinen Wunsch, meine Neugierde nach Überschreiten meiner Denkgrenzen: „Es gibt keinen Gott, alles ist viel größer!“ war damals - Okt.1992 - ein nicht zu begreifender Satz; erst in den letzten Jahren dämmerte mir die Bedeutung. Es war Vor-Kantisch. Die überraschend vielfältigen Erfahrungen seither in Frank-reich nahm ich lange nur zur Kenntnis -ohne die Frage zu stellen;: „was mache ich damit? “
Das hat sich grundlegend geändert, Dank auch der Schülerseminare, in denen ich weiter lernen konnte. Dabei hatte ich eine Haltung wiederentdeckt, die mir von meinem Vater in die Wiege gelegt worden war: „Lerne und kaufe die Bücher, die dazu taugen. Ich bezahle sie.“ Das geschah, maßvoll. Bis heute zehre ich von dieser grundgelegten Neugier: obwohl „Ich weiß, dass ich scheitern werde und will es doch wenigstens probieren“. Meine Art Wissenshunger wurde lange nicht gestillt, erst spät kam ich in die Nähe „was die Welt im Innersten zusammenhält“ Diesen Weg zu gehen war meine Aufgabe. Die Bundeswehr war kein Weg, Lehrer in der Schule ein für mich falscher, erst durch die selbstgesetzten Seminare fand ich Richtung und Nahrung. Mein Lebensweg war folgerichtig, doch nicht berechenbar. -- Könnte ich diesen Hunger nicht mehr stillen, würde es das Ende meines bislang sinnerfüllten Lebens bedeuten. Noch ist die Tafel gut gedeckt. Es waren bislang Hauptspeisen --oder doch schon der Nachtisch?
Mir wurde dabei bewusst wie wichtig das Menschenbild ist, dem ich folge, denn es gibt wenige Vor-stellungen, die so stark das Geschehen beeinflussen wie dieses Bild aus dem unbewussten inneren Kontext lässt mich die Welt anders sehen und so möglicherweise Tränen über ihr Leid nicht zulasse. Mit einem egoistischem Bild sehe ich überall Egoisten, Diebe. Die gibt es natürlich auch, anderes zu denken wäre naiv, doch ich potenziere ihre Zahl. Plötzlich sind alle Emigranten Abzocker, die abge-schoben gehören. Politisch ist die Erzeugung von Angst nützlich. Dagegen zeigen weltweit fast alle wissenschaftlichen Untersuchungen über das Verhalten von Menschen bei Katastrophen deutlich, dass altruistisches Verhalten überwiegt: beim Unter-gang der Titanic bis zu den Überschwemmungen in Spanien. Was wir voneinander annehmen, prägt unser Verhalten, nicht Rationalität. Das gilt auch für das christliche Menschenbild: sündig und schlecht, der Erlösung bedürftig. Placebo- und Noceboeffekt zeigen sehr klar, wie Vorannahmen wirken.
Der Mensch mit einem „Menschenbild der Verbunden-heit“ verdrängt das Leid nicht, sondern fragt als Teil der Welt „Wer bin ich als Flüchtender mit einer schmerzenden seelischen Verletzung im Verlust von Heimat; Eltern, von Freunden? Wer als Opfer von Fremdenfeindlichkeit und Gewalt? Von Krankheiten und Behinderungen?“ Weiß ich mich verbunden und suche ich meine Möglichkeiten? Ich bin vom Elend der Welt nicht getrennt, weil ich Teil dieser Welt bin. Das müsste mein Menschenbild sein; die Ideologie redet mir ein, der Erfolg sei nicht möglich, also probiere es erst gar nicht, das ist falsch.
Die Worte eines 17jährigen Widerstandskämpfers geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Er schrieb wenige Stunden vor seiner Hinrichtung am 15.Juli 1944 durch die Nazitruppe in einem Brief an seine Eltern: „ ... Für mich ist es nicht entscheidend, ob wir im Kampf Erfolg haben, wichtig ist, es wenigstens probiert zu haben.“
Der russ.Soldat, der einen 18jährigen schwer verletzten Deutschen über die Demarkationsline schleppt, um ihn deutschen Soldaten zu übergeben. dabei sein Leben gefährdet; die Ukrainerin, die dem schwerverletzten russ, Soldaten ihr Handy reicht mit den Worten.: „hier, ruf deine Mama an, damit sie weiß, dass du lebst.“ darin erkannte ich Menschlichkeit, die mich berührt, Tränen fließen ließ. Die Meditationsfrage: „was tue ich damit?“ hat so einen Platz im Leben; ihr Kern Verant-wortung, Lieben, Geistesgegenwart und Tun gilt ihr als Wert.
„Sei ein Mensch“ erweitere ich frei politisch-philosophisch durch Ernst Blochs Verheißung am Ende seines Werkes Prinzip Hoffnung: „Hat der Mensch sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allein in die Kindheit scheint und wo noch niemand war: ein Mensch in seiner Heimat.“ „Sei ein Mensch“ heißt Heimat finden.
So kann ich zum Ende des Jahres sagen: 2024 war für mich ein berührendes, lernreiches, also erfülltes Jahr – trotz Allem oder wegen Allem. Dieser 34.Jahresbrief wurde so auch zu einer Art Vermächtnis.
Selbst wenn wir den Wahnsinn in der Welt, das persönliche Elend und das Unterlaufen der Aufklärung des Rechtsstaates und der Demokratie nicht erfolgreich abschaffen können, so gilt für mich das Wort des 17jährigen Franzosen: „... es wenigstens probiert zu haben!“
Dein Wolfgang